Oper und Drama
wieder auf die erste Empfindung zurückzuleiten vermag. – Lassen wir dem Verse »die Liebe bringt Lust und Leid« als zweiten folgen: »doch in ihr Weh auch webt sie Wonnen«, so würde »webt« wieder zum Leitton in die erste Tonart werden, wie von hier die zweite Empfindung zur ersten, nun bereicherten, wieder zurückkehrt – eine Rückkehr, die der Dichter vermöge des Stabreimes an die sinnliche Gefühlswahrnehmung nur als einen Fortschritt der Empfindung des »Weh« in die der »Wonnen«, nicht aber als einen Abschluß der Gattung der Empfindung »Liebe« darstellen konnte, während der Musiker gerade dadurch vollkommen verständlich wird, daß er in die erste Tonart ganz merklich zurückgeht und die Gattungsempfindung daher mit Bestimmtheit als eine einheitliche bezeichnet, was dem Dichter, der den Wurzelanlaut für den Stabreim wechseln mußte, nicht möglich war. – Allein der Dichter deutete durch den Sinn beider Verse die Gattungsempfindung an; er verlangte somit ihre Verwirklichung vor dem Gefühle und bestimmte den verwirklichenden Musiker für sein Verfahren. Die Rechtfertigung für sein Verfahren, das als ein unbedingtes uns willkürlich und unverständlich erscheinen würde, erhält der Musiker daher aus der Absicht des Dichters – aus einer Absicht, die dieser eben nur andeuten oder höchstens nur für die Bruchteile seiner Kundgebung (eben im Stabreime) annähernd verwirklichen konnte, deren volle Verwirklichung aber eben nur dem Musiker möglich ist, und zwar durch das Vermögen, die Urverwandtschaft der Töne für eine vollkommen einheitliche Kundgebung ureinheitlicher Empfindungen an das Gefühl zu verwenden.
Wie unermeßlich groß dieses Vermögen ist, davon machen wir uns am leichtesten einen Begriff, wenn wir uns den Sinn der beiden oben angeführten Verse in der Art bestimmter noch dargelegt denken, daß zwischen dem Fortschritte aus der einen Empfindung und der im zweiten Verse schon ausgeführten Rückkehr zu ihr eine längere Folge von Versen die mannigfaltigste Steigerung und Mischung zwischenliegender, teils verstärkender, teils versöhnender Empfindungen, bis zur endlichen Rückkehr zur Hauptempfindung ausdrückte. Hier würde die musikalische Modulation, um die dichterische Absicht zu verwirklichen, in die verschiedensten Tonarten hinüber- und zurückzuleiten haben; alle die berührten Tonarten würden aber in einem genauen verwandtschaftlichen Verhältnisse zu der ursprünglichen Tonart erscheinen, von der aus das besondere Licht, welches sie auf den Ausdruck werfen, wohl bedingt und die Fähigkeit zu dieser Lichtgebung gewissermaßen selbst erst verliehen wird. Die Haupttonart würde, als Grundton der angeschlagenen Empfindung, in sich die Urverwandtschaft mit allen Tonarten offenbaren, die bestimmte Empfindung somit, vermöge des Ausdruckes, während ihrer Äußerung in einer Höhe und Ausdehnung kundtun, daß nur das ihr Verwandte für die Dauer ihrer Äußerung unser Gefühl bestimmen könnte, unser allgemeines Gefühlsvermögen von dieser Empfindung, vermöge ihrer gesteigerten Ausdehnung, einzig erfüllt würde, und somit diese eine Empfindung zur allumfassenden, allmenschlichen, unfehlbar verständlichen erhoben worden wäre.
Ist hiermit die dichterisch-musikalische Periode bezeichnet worden, wie sie sich nach einer Haupttonart bestimmt, so können wir vorläufig das Kunstwerk als das für den Ausdruck vollendetste bezeichnen, in welchem viele solche Perioden nach höchster Fülle sich so darstellen, daß sie, zur Verwirklichung einer höchsten dichterischen Absicht, eine aus der andern sich bedingen und zu einer reichen Gesamtkundgebung sich entwickeln, in welcher das Wesen des Menschen nach einer entscheidenden Hauptrichtung hin, d. h. nach einer Richtung hin, die das menschliche Wesen vollkommen in sich zu fassen imstande ist (wie eine Haupttonart alle übrigen Tonarten in sich zu fassen vermag), auf das sicherste und begreiflichste dem Gefühle dargestellt wird. Dieses Kunstwerk ist das vollendete Drama, in welchem jene umfassende Richtung des menschlichen Wesens in einer folgerichtigen, sich wohl bedingenden Reihe von Gefühlsmomenten mit solcher Stärke und Überzeugungskraft an das Gefühl sich kundgibt, daß, als notwendige bestimmteste Äußerung des Gefühlsinhaltes der zum umfassenden Gesamtmotiv gesteigerten Momente, die Handlung aus diesem Reichtume von Bedingungen als letzter, unwillkürlich geforderter und somit vollkommen verstandener Moment
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