Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
Vom Netzwerk:
hervorgeht. –
    Ehe wir vom Charakter der dichterisch-musikalisch melodischen Periode aus auf das Drama, wie es aus der gegenseitig sich bedingenden Entwickelung vieler nötiger solcher Perioden zu erwachsen hat, weiter schließen, müssen wir zuvor jedoch genau noch das Moment bestimmen, welches auch die einzelne melodische Periode nach ihrem Gefühlsausdrucke aus dem Vermögen der reinen Musik heraus bedingt, und uns das unermeßlich bindende Organ zur Verfügung stellen soll, durch dessen eigentümlichste Hülfe wir das vollendete Drama erst ermöglichen können. Dies Organ wird uns aus der – wie ich sie bereits nannte – vertikalen Ausdehnung der Harmonie, da, wo sie sich aus ihrem Grunde heraufbewegt, erwachsen, wenn wir der Harmonie selbst die Möglichkeit teilnehmendster Mittätigkeit am ganzen Kunstwerke zuwenden.

[ IV ]
    Wir haben bis jetzt die Bedingungen für den melodischen Fortschritt aus einer Tonart in die andere als in der dichterischen Absicht, soweit sie bereits selbst ihren Gefühlsinhalt offenbart hatte, liegend nachgewiesen und bei diesem Nachweis bewiesen, daß der veranlassende Grund zur melodischen Bewegung, als ein auch vor dem Gefühle gerechtfertigter, nur aus dieser Absicht entstehen könne. Was diesen, dem Dichter notwendigen Fortschritt aber einzig ermöglicht , liegt natürlich aber nicht im Bereiche der Wortsprache, sondern ganz bestimmt nur in dem der Musik. Dieses eigenste Element der Musik, die Harmonie , ist das, was nur insoweit noch von der dichterischen Absicht bedingt wird, als es das andere, weibliche Element ist, in welches sich diese Absicht zu ihrer Verwirklichung, zu ihrer Erlösung ergießt. Denn es ist dies das gebärende Element, das die dichterische Absicht nur als zeugenden Samen aufnimmt, um ihn nach den eigensten Bedingungen seines weiblichen Organismus' zur fertigen Erscheinung zu gestalten. Dieser Organismus ist ein besonderer, individueller, und zwar eben kein zeugender, sondern ein gebärender: er empfing vom Dichter den befruchtenden Samen, die Frucht aber reift und formt er nach seinem eigenen individuellen Vermögen.
    Die Melodie, wie sie auf der Oberfläche der Harmonie erscheint, ist für ihren entscheidenden rein musikalischen Ausdruck einzig aus dem von unten her wirkenden Grunde der Harmonie bedingt: wie sie sich selbst als horizontale Reihe kundgibt, hängt sie durch eine senkrechte Kette mit diesem Grunde zusammen. Diese Kette ist der harmonische Akkord, der als eine vertikale Reihe nächst verwandter Töne aus dem Grundtone nach der Oberfläche zu aufsteigt. Das Mitklingen dieses Akkordes gibt dem Tone der Melodie erst die besondere Bedeutung, nach welcher er zu einem unterschiedenen Momente des Ausdruckes als einzig bezeichnend verwendet wurde. So wie der aus dem Grundtone bestimmte Akkord dem einzelnen Tone der Melodie erst seinen besonderen Ausdruck gibt – indem ein und derselbe Ton auf einem anderen ihm verwandten Grundtone eine ganz andere Bedeutung für den Ausdruck erhält –, so bestimmt sich jeder Fortschritt der Melodie aus einer Tonart in die andere ebenfalls nur nach dem wechselnden Grundtone, der den Leitton der Harmonie, als solchen, aus sich bedingt. Die Gegenwart dieses Grundtones, und des aus ihm bestimmten harmonischen Akkordes, ist vor dem Gefühle, das die Melodie nach ihrem charakteristischen Ausdrucke erfassen soll, unerläßlich. Die Gegenwart der Grundharmonie heißt aber: Miterklingen derselben. Das Miterklingen der Harmonie zu der Melodie überzeugt das Gefühl erst vollständig von dem Gefühlsinhalte der Melodie, die ohne dieses Miterklingen dem Gefühle etwas unbestimmt ließe; nur aber bei vollster Bestimmtheit aller Momente des Ausdruckes bestimmt sich auch das Gefühl schnell und unmittelbar zur unwillkürlichen Teilnahme, und volle Bestimmtheit des Ausdruckes heißt aber wiederum nur: vollständigste Mitteilung all seiner notwendigen Momente an die Sinne .
    Das Gehör fordert also gebieterisch auch das Miterklingen der Harmonie zur Melodie, weil es erst durch dieses Miterklingen sein sinnliches Empfängnisvermögen vollkommen erfüllt, somit befriedigt erhält, und demnach mit notwendiger Beruhigung dem wohlbedingten Gefühlsausdrucke der Melodie sich zuwenden kann. Das Miterklingen der Harmonie zur Melodie ist daher nicht eine Erschwerung, sondern die einzig ermöglichende Erleichterung für das Verständnis des Gehörs. Nur wenn die Harmonie sich nicht als Melodie zu äußern vermochte, also – wenn die

Weitere Kostenlose Bücher