Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
Vom Netzwerk:
Tanzgebärde und Orchester im Rhythmos , und in diesen Punkt müssen beide, nach jeder Entfernung von ihm, notwendig wieder zurückfallen, um in ihm, der ihre ursprünglichste Verwandtschaft aufdeckt, verständlich zu bleiben oder zu werden. Von diesem Punkte aus erweitert sich aber in gleichem Maße die Gebärde wie das Orchester zu dem, beiden eigentümlichsten Sprachvermögen. Wie die Gebärde in diesem Vermögen ein nur ihr Aussprechliches an das Auge kundgibt, so teilt das Orchester das dieser Kundgebung wiederum genau Entsprechende ganz so an das Gehör mit, wie im Ausgangspunkte der Verwandtschaft der musikalische Rhythmos das in den sinnlich wahrnehmbarsten Momenten der Tanzbewegung dem Auge kundgegebene dem Gehöre verdeutlichte. Das Niedertreten des nach der Erhebung wieder gesenkten Fußes war dem Auge ganz dasselbe, was dem Ohre der akzentuierte Taktniederschlag war; und so ist dann auch dem Gehöre die von Instrumenten vorgetragene bewegungsvolle Tonfigur, welche die Taktniederschläge melodisch verbindet, ganz dasselbe, was dem Auge die Bewegung des Fußes oder der sonstigen ausdrucksfähigen Leibesglieder zwischen ihrem, dem Taktniederschlage entsprechenden, Wechsel ist. Je weiter sich nun die Gebärde von ihrer bestimmtesten, zugleich aber auch beschränktesten Grundlage des Tanzes entfernt; je sparsamer sie ihre schärfsten Akzente verteilt, um in den mannigfaltigsten und feinsten Übergängen des Ausdruckes zu einem unendlich fähigen Sprachvermögen zu werden – desto mannigfaltiger und feiner gestalten sich nun auch die Tonfiguren der Instrumentensprache, die, um das Unaussprechliche der Gebärde überzeugend mitzuteilen, einen melodischen Ausdruck eigentümlichster Art gewinnt, dessen unermeßlich reiche Fähigkeit sich weder nach Inhalt noch Form in der Wortsprache bezeichnen läßt, eben weil dieser Inhalt und diese Form durch die Orchestermelodie sich bereits vollständig dem Gehöre kundgibt, und nur noch von dem Auge wiederum empfunden werden kann, und zwar als Inhalt und Form der jener Melodie entsprechenden Gebärde.
    Daß dieses eigentümliche Sprachvermögen des Orchesters in der Oper bisher sich noch bei weitem nicht zu der Fülle hat entwickeln können, deren es fähig ist, findet seinen Grund eben darin, daß – wie ich an seinem Orte bereits erwähnte – bei dem Mangel aller wahrhaft dramatischen Grundlage der Oper, das Gebärdenspiel für sie ganz unvermittelt noch aus der Tanzpantomime herübergezogen war. Diese Ballettanzpantomime konnte nur in ganz beschränkten, der möglichsten Verständlichkeit willen endlich zu stereotypen Annahmen festgesetzten Bewegungen und Gebärden sich kundgeben, weil sie der Bedingungen gänzlich entbehrte, die ihre größere Mannigfaltigkeit als notwendig bestimmt und erklärt hätten. Diese Bedingungen enthält die Wortsprache, und zwar nicht die zu Hülfe gezogene , sondern die die Gebärde zu Hülfe ziehende Wortsprache. Das erhöhte Sprachvermögen, welches das Orchester in Pantomime und Oper daher nicht gewinnen konnte, suchte es sich, wie im instinktiven Wissen von seiner Fähigkeit, in der, von der Pantomime losgelösten, absoluten Instrumentalmusik zu erwerben. Wir sahen, daß dieses Streben in seiner höchsten Kraft und Aufrichtigkeit zu dem Verlangen nach Rechtfertigung durch das Wort und die vom Worte bedingte Gebärde führen mußte, und haben jetzt nur noch zu erkennen, wie von der andren Seite her die vollständige Verwirklichung der dichterischen Absicht nur wiederum in der höchsten, verdeutlichendsten Rechtfertigung seiner Wortversmelodie durch das vollendete Sprachvermögen des Orchesters, im Vereine mit der Gebärde, zu ermöglichen ist.
    Die dichterische Absicht, wie sie sich im Drama verwirklichen will, bedingt den höchsten und mannigfaltigsten Ausdruck der Gebärde, ja sie erfordert ihre Mannigfaltigkeit, Kraft, Feinheit und Beweglichkeit in einem Grade, wie sie nirgends anders als eben einzig nur im Drama notwendig zum Vorschein kommen können und für dieses Drama daher von ganz besonderer Eigentümlichkeit zu erfinden sind; denn die dramatische Handlung ist mit allen ihren Motiven eine bis zur Wunderbarkeit über das Leben erhobene und gesteigerte. Die Gedrängtheit der Handlungsmomente und ihrer Motive war dem Gefühle nur in einem wiederum gedrängten Ausdrucke verständlich zu machen, der sich aus dem Wortverse bis zur unmittelbar das Gefühl bestimmenden Melodie erhob. Wie dieser Ausdruck sich nun bis zur Melodie

Weitere Kostenlose Bücher