Oper und Drama
einem natürlichen Sinne ist er das von uns sich »Ausgießende« , wie der Duft das von der Blume sich Ausbreitende, Ausgießende ist. Der »Geist« der Theologie gründet sich dagegen auf die Verdrehung dieses natürlichen Momentes, indem er dort – dem christlichen Mythos analog – zu dem (von oben) über uns Ausge gossenen ward. ] eines Wirklichen, aber Ungegenwärtigen. Dieses Ungegenwärtige ist seinem Ursprunge nach ein wirklicher, sinnlich wahrgenommener Gegenstand, der auf uns an einem anderen Orte oder zu einer anderen Zeit einen bestimmten Eindruck gemacht hat: dieser Eindruck hat sich unserer Empfindung bemächtigt, für die wir, um sie mitzuteilen, einen Ausdruck erfinden mußten, der dem Eindrucke des Gegenstandes nach dem allgemein menschlichen Gattungsempfindungsvermögen entsprach. Den Gegenstand konnten wir somit nur nach dem Eindrucke in uns aufnehmen, den er auf unsre Empfindung machte, und dieser von unsrem Empfindungsvermögen wiederum bestimmte Eindruck ist das Bild, das uns im Gedenken der Gegenstand selbst dünkt. Gedenken und Erinnerung ist somit dasselbe, und in Wahrheit ist der Gedanke das in der Erinnerung wiederkehrende Bild, welches – als Eindruck von einem Gegenstande auf unsre Empfindung – von dieser Empfindung selbst gestaltet, und von der gedenkenden Erinnerung, diesem Zeugnisse von dem dauernden Vermögen der Empfindung und der Kraft des auf sie gemachten Eindruckes, der Empfindung selbst zu lebhafter Erregung, zum Nachempfinden des Eindruckes, wieder vorgeführt wird. Uns hat die Entwickelung des Gedankens zu dem Vermögen bindender Kombination aller selbstgewonnenen oder überlieferten Bilder von in der Erinnerung bewahrten Eindrücken ungegenwärtig gewordener Objekte – das Denken, wie es uns in der philosophischen Wissenschaft entgegentritt – hier nicht zu beschäftigen; denn der Weg des Dichters geht aus der Philosophie heraus zum Kunstwerke, zur Verwirklichung des Gedankens in der Sinnlichkeit. Nur eines haben wir noch genau zu bestimmen. Etwas, was nicht zuerst einen Eindruck auf unsre Empfindung gemacht hat, können wir auch nicht denken, und die vorangehende Empfindungserscheinung ist die Bedingung für die Gestaltung des kundzugebenden Gedankens. Auch der Gedanke ist daher von der Empfindung angeregt, und muß sich notwendig wieder in die Empfindung ergießen, denn er ist das Band zwischen einer ungegenwärtigen und einer gegenwärtig nach Kundgebung ringenden Empfindung .
Die Versmelodie des Dichters verwirklicht nun, gewissermaßen vor unsren Augen, den Gedanken, d. h. die aus dem Gedenken dargestellte ungegenwärtige Empfindung zu einer gegenwärtigen, wirklich wahrnehmbaren Empfindung. In dem reinen Wortverse enthält sie die aus der Erinnerung geschilderte, gedachte, beschriebene ungegenwärtige, aber bedingende Empfindung, in der rein musikalischen Melodie dagegen die bedingte neue, gegenwärtige Empfindung, in die sich die gedachte, anregende, ungegenwärtige Empfindung als in ihr Verwandtes, neu Verwirklichtes auflöst. Die in dieser Melodie kundgegebene, vor unsren Augen aus dem Gedenken einer früheren Empfindung wohl entwickelte und gerechtfertigte, sinnlich unmittelbar ergreifende und das teilnehmende Gefühl sicher bestimmende Empfindung ist nun eine Erscheinung, die uns, denen sie mitgeteilt wurde, so gut angehört als dem, der sie uns mitteilte; und wir können sie, wie sie dem Mitteilenden als Gedanke – d. h. Erinnerung – wiederkehrt, ganz eben so als Gedanken bewahren. – Der Mitteilende, wenn er im Gedenken dieser Empfindungserscheinung sich aus diesem Gedenken wiederum zur Kundgebung einer neuen, abermals gegenwärtigen Empfindung gedrängt fühlt, nimmt dieses Gedenken jetzt nur als geschilderten, dem erinnernden Verstande kurz angedeuteten, ungegenwärtigen Moment so auf, wie er in derselben Versmelodie, in der es zu jener – jetzt der Erinnerung anvertrauten – melodischen Erscheinung sich äußerte, das Gedenken einer früheren, uns ihrer Lebendigkeit nach entrückten Empfindung, als empfindungszeugenden Gedanken kundgab. Wir, die wir die neue Mitteilung empfangen, vermögen aber jene, jetzt nur noch gedachte Empfindung, in ihrer rein melodischen Kundgebung selbst , durch das Gehör festzuhalten: sie ist Eigentum der reinen Musik geworden, und von dem Orchester mit entsprechendem Ausdrucke zur sinnlichen Wahrnehmung gebracht, erscheint sie uns als das Verwirklichte, Vergegenwärtigte des vom Mitteilenden so eben nur Gedachten .
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