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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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und fremdartig vorkommen müßten, wenn ihre endlich nackte Kundgebung nicht aus unsrer vorbereiteten und zu ahnungsvoller Erwartung gespannten Empfindung in der Weise als notwendig bedingt werden könnte, daß wir sie als Erfüllung einer Erwartung geradesweges fordern. Nur der so vom Dichter erfüllten Tonsprache des Orchesters ist es aber möglich, diese notwendige Erwartung in uns anzuregen, und ohne seine künstlerische Hülfe vermag das wundervolle Drama daher weder entworfen noch ausgeführt zu werden.

[ VI ]
    Wir haben nun alle Bänder des Zusammenhanges für den einigen Ausdruck des Dramas erfaßt und uns jetzt nur noch darüber zu verständigen, wie sie unter sich verknüpft werden sollen, um als einige Form einem einigen Gehalte zu entsprechen, der nur durch die Möglichkeit dieser einigen Form als ein ebenfalls einiger erst sich zu gestalten vermag. –
    Der lebengebende Mittelpunkt des dramatischen Ausdruckes ist die Versmelodie des Darstellers: auf sie bezieht sich als Ahnung die vorbereitende absolute Orchestermelodie; aus ihr leitet sich als Erinnerung der »Gedanke« des Instrumentalmotives her. Die Ahnung ist das sich ausbreitende Licht, das, indem es auf den Gegenstand fällt, die dem Gegenstande eigentümliche, von ihm selbst aus bedingte Farbe zu einer ersichtlichen Wahrheit macht; die Erinnerung ist die gewonnene Farbe selbst, wie sie der Maler dem Gegenstande entnimmt, um sie auf ihm verwandte Gegenstände überzutragen. Die dem Auge sinnfällige, stets gegenwärtige Erscheinung und Bewegung des Verkünders der Versmelodie, des Darstellers, ist die dramatische Gebärde; sie wird dem Gehöre verdeutlicht durch das Orchester, das seine ursprünglichste und notwendigste Wirksamkeit als harmonische Trägerin der Versmelodie selbst abschließt. – An dem Gesamtausdrucke aller Mitteilungen des Darstellers an das Gehör, wie an das Auge, nimmt das Orchester somit einen ununterbrochenen, nach jeder Seite hin tragenden und verdeutlichenden Anteil: es ist der bewegungsvolle Mutterschoß der Musik, aus dem das einigende Band des Ausdruckes erwächst. – Der Chor der griechischen Tragödie hat seine gefühlsnotwendige Bedeutung für das Drama im modernen Orchester allein zurückgelassen, um in ihm, frei von aller Beengung, zu unermeßlich mannigfaltiger Kundgebung sich zu entwickeln; seine reale, individuell menschliche Erscheinung ist dafür aber aus der Orchestra hinauf auf die Bühne versetzt, um den im griechischen Chore liegenden Keim seiner menschlichen Individualität zu höchster selbständiger Blüte, als unmittelbar handelnder und leidender Teilnehmer des Dramas selbst, zu entfalten.
    Betrachten wir nun, wie der Dichter vom Orchester aus, in welchem er vollständig zum Musiker geworden ist, sich zu seiner Absicht, die ihn bis hierher geführt, zurückwendet, und zwar um sie, durch die nun unermeßlich reich ihm erwachsenen Mittel des Ausdruckes, vollkommen zu verwirklichen.
     
    Die dichterische Absicht verwirklichte sich zunächst in der Versmelodie; den Träger und Verdeutlicher der reinen Melodie lernten wir im harmonischen Orchester erkennen. Es bleibt nun noch genau zu ermessen, wie jene Versmelodie sich zum Drama selbst verhalte und welche ermöglichende Wirksamkeit bei diesem Verhältnisse das Orchester ausüben könnte.
    Wir haben dem Orchester bereits die Fähigkeit abgewonnen, Ahnungen und Erinnerungen zu erwecken; die Ahnung haben wir als Vorbereitung der Erscheinung, die endlich in Gebärde und Versmelodie sich kundgibt – die Erinnerung dagegen als Ableitung von ihr gefaßt, und wir müssen nun genau bestimmen, was, der dramatischen Notwendigkeit gemäß, gleichzeitig mit der Ahnung und Erinnerung den Raum des Dramas in der Weise erfüllt, daß Ahnung und Erinnerung zur vollsten Ergänzung seines Verständnisses eben notwendig waren.
    Die Momente, in denen das Orchester sich so selbständig aussprechen durfte, müssen jedenfalls solche sein, die das volle Aufgehen des Sprachgedankens in die musikalische Empfindung von seiten der dramatischen Persönlichkeiten noch nicht ermöglichen. Wie wir dem Wachsen der musikalischen Melodie aus dem Sprachverse zusahen und dieses Wachsen als aus der Natur des Sprachverses bedingt erkannten; wie wir die Rechtfertigung, d. h. das Verständnis der Melodie aus dem bedingenden Sprachverse nicht nur als ein künstlerisch zu Denkendes und Auszuführendes, sondern als ein notwendig vor unsrem Gefühle organisch zu Bewerkstelligendes und im

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