Oper und Drama
Gedenken einer Empfindung bis zur gegenwärtigsten Kundgebung einer Empfindung vorschritt – so wächst auch das Sprachvermögen des Orchesters, das aus beiden Momenten seine gestaltende Kraft gewann und an dem Wachsen beider zu ihrem äußersten Vermögen sich ernährte und steigerte, von diesem doppelten Nahrungsquelle aus zu einer besonderen höchsten Fähigkeit, in der wir die beiden geteilten Arme des Orchesterstromes, nachdem er durch einmündende Bäche und Flüsse reichlich geschwängert worden ist, gleichsam sich wieder verbinden und gemeinsam dahinfließen sehen. Da, wo die Gebärde nämlich vollkommen ruht und die melodische Rede des Darstellers gänzlich schweigt – also da, wo das Drama aus noch unausgesprochenen inneren Stimmungen heraus sich vorbereitet, vermögen diese bis jetzt noch unausgesprochenen Stimmungen vom Orchester in der Weise ausgesprochen zu werden, daß ihre Kundgebung den von der dichterischen Absicht als notwendig bedungenen Charakter der Ahnung an sich trägt. –
Die Ahnung ist die Kundgebung einer unausgesprochenen, weil – im Sinne unsrer Wortsprache – noch unaussprechlichen Empfindung. Unaussprechlich ist eine Empfindung, die noch nicht bestimmt ist, und unbestimmt ist sie, wenn sie noch nicht durch den ihr entsprechenden Gegenstand bestimmt ist. Die Bewegung dieser Empfindung, die Ahnung, ist somit das unwillkürliche Verlangen der Empfindung nach Bestimmung durch einen Gegenstand, den sie aus der Kraft ihres Bedürfnisses wiederum selbst vorausbestimmt, und zwar als einen solchen, der ihr entsprechen muß und dessen sie deshalb harrt. In seiner Kundgebung als Ahnung möchte ich das Empfindungsvermögen der wohlgestimmten Harfe vergleichen, deren Saiten vom durchstreifenden Windzuge erklingen und des Spielers harren, der ihnen deutliche Akkorde entgreifen soll.
Eine solche ahnungsvolle Stimmung hat der Dichter uns zu erwecken, um aus ihrem Verlangen heraus uns selbst zum notwendigen Mitschöpfer des Kunstwerkes zu machen . Indem er dieses Verlangen uns hervorruft, verschafft er sich in unsrer erregten Empfänglichkeit die bedingende Kraft, welche die Gestaltung der von ihm beabsichtigten Erscheinungen grade so, wie er sie seiner Absicht gemäß gestalten muß, einzig ihm ermöglichen kann. In der Hervorbringung solcher Stimmungen, wie der Dichter zur unerläßlichen Mithülfe unsrerseits sie uns erwecken muß, hat die absolute Instrumentalsprache sich bisher bereits als allvermögend bewährt; denn gerade die Anregung unbestimmter, ahnungsvoller Empfindungen war ihre eigentümlichste Wirkung, die überall da zur Schwäche werden mußte, wo sie die angeregten Empfindungen auch deutlich bestimmen wollte. Wenden wir diese außerordentliche, einzig ermöglichende Fähigkeit der Instrumentalsprache nun auf die Momente des Dramas an, wo sie vom Dichter nach einer bestimmten Absicht in Wirksamkeit gesetzt werden soll, so hätten wir uns nun darüber zu verständigen, woher diese Sprache die sinnlichen Ausdrucksmomente zu nehmen habe, in denen sie sich der dichterischen Absicht entsprechend kundgeben soll.
Wir sahen bereits, daß unsre absolute Instrumentalmusik die sinnlichen Momente für ihren Ausdruck aus einer unsrem Ohre urvertrauten Tanzrhythmik und der ihr entstammten Weise oder aus dem Melos des Volksliedes, wie er unsrem Gehöre ebenfalls anerzogen ist, entnehmen mußte. Das immerhin durchaus Unbestimmte in diesen Momenten suchte der absolute Instrumentalkomponist dadurch zu einem bestimmten Ausdrucke zu erheben, daß er diese Momente nach Verwandtschaft und Unterschiedenheit, durch wachsende und abnehmende Stärke, wie durch beschleunigte und gehemmte Bewegung des Vortrages, und endlich durch besondere Charakteristik des Ausdruckes vermöge der mannigfaltigen Individualität der Toninstrumente, zu einem der Phantasie dargestellten Bilde fügte, das er schließlich doch nur wieder durch genaue – außermusikalische – Angabe des geschilderten Gegenstandes erst deutlich zu machen sich gedrängt fühlte. Die sogenannte »Tonmalerei« ist der ersichtliche Ausgang der Entwickelung unsrer absoluten Instrumentalmusik gewesen: in ihr hat diese Kunst ihren Ausdruck, der sich nicht mehr an das Gefühl sondern an die Phantasie wendet, empfindlich erkältet, und jeder wird diesen Eindruck deutlich wahrnehmen, der auf ein Beethovensches Tonstück eine Mendelsohnsche oder gar eine Berliozsche Orchesterkomposition hört. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß dieser Entwickelungsgang
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