Oper und Drama
Genuß des Kunstwerkes rauben, und das zur abspannenden Arbeit machen muß, was ihn unwillkürlich erfreuen und erheben sollte. ] bliebe somit nur noch die, von der dramatischen Absicht losgelöste, Musik übrig, und diese Musik würde genau nur da Eindruck auf die Zuhörer machen können, wo sie sich von der dramatischen Absicht in der Weise zu entfernen schiene, daß sie ganz für sich einen ohrgefälligen Reiz darböte. Von dem scheinbar unmelodischen Gesange der Sänger ab – nämlich »unmelodisch« im Sinne der gewohnten auf den Gesang übergetragenen Instrumentalmelodie – müßte das Publikum sich nach Genuß aus dem Orchesterspiele umsehen, und hier würde es vielleicht von einem gefesselt werden, nämlich von dem unwillkürlichen Reize einer sehr wechselvollen und mannigfaltigen Instrumentation .
Um das außerordentlich ermöglichende Sprachorgan des Orchesters zu der Höhe zu steigern, daß es jeden Augenblick das in der dramatischen Situation liegende Unaussprechliche dem Gefühle deutlich kundgeben könne, hat der von der dichterischen Absicht erfüllte Musiker – wie wir bereits erklärten – nicht etwa sich zu beschränken, sondern seine Erfindungsgabe ganz nach der von ihm empfundenen Notwendigkeit eines treffendsten, bestimmtesten Ausdruckes zum Auffinden des mannigfaltigsten Sprachvermögens des Orchesters zu schärfen; solange dieses Sprachvermögen noch nicht zu so individueller Kundgebung fähig ist, als seiner die unendliche Mannigfaltigkeit der dramatischen Motive bedarf, kann das Orchester, das in seiner einfarbigeren Kundgebung der Individualität dieser Motive nicht zu entsprechen vermag, nur störend – weil nicht vollkommen befriedigend – mitertönen, und im vollkommenen Drama müßte es daher, wie alles nicht gänzlich Entsprechende, eine ablenkende Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Gerade eine solche Aufmerksamkeit soll ihm, unsrer Absicht gemäß, aber nicht zugewendet werden dürfen; sondern dadurch, daß es überall auf das entsprechendste der feinsten Individualität des dramatischen Motives sich anschmiegt, soll das Orchester alle Aufmerksamkeit von sich , als einem Mittel des Ausdruckes , ab, auf den Gegenstand des Ausdruckes mit unwillkürlichem Zwange hinlenken – so daß gerade die allerreichste Orchestersprache mit dem künstlerischen Zwecke sich kundgeben soll, gewissermaßen gar nicht beachtet, gar nicht gehört zu werden, nämlich nicht in ihrer mechanischen , sondern nur in ihrer organischen Wirksamkeit, in der sie eins ist mit dem Drama.
Wie müßte es nun diesen dichterischen Musiker demütigen, wenn er vor seinem Drama das Publikum mit einziger und besonderer Aufmerksamkeit der Mechanik seines Orchesters zugewandt sähe und ihm eben nur das Lob eines »sehr geschickten Instrumentisten« erteilt würde? Wie müßte es ihm, dem einzig aus der dramatischen Absicht Gestaltenden, zumute sein, wenn Kunstliteraten über sein Drama berichteten, sie hätten ein Textbuch gelesen und dazu Flöten, Geigen und Trompeten wunderlich durcheinandermusizieren gehört? –
Könnte dieses Drama unter den bezeichneten Umständen aber eine andere Wirkung hervorbringen? –
Und doch! Sollen wir aufhören Künstler zu sein? Oder sollen wir uns der notwendigen Einsicht in die Natur der Dinge begeben, bloß weil wir keinen Vorteil daraus ziehen können? – Wäre es aber kein Vorteil, nicht nur Künstler, sondern auch Mann zu sein, und sollte eine künstliche Unwissenheit, ein weibisches von uns Abweisen der Erkenntnis uns mehr Vorteil bringen als ein kräftiges Bewußtsein, das uns, wenn wir alle Selbstsucht beiseite setzen, Heiterkeit, Hoffnung und vor allem Mut zu Taten gibt, die uns erfreuen müssen, wenn sie auch noch so wenig von äußerem Erfolge gekrönt sind?
Gewiß! Nur die Erkenntnis kann uns schon jetzt beglücken, während die Unkenntnis uns in einem hypochondrischen, freudlosen, gespaltenen, kaum wollenden, nirgends aber könnenden Afterkunstschaffen erhält, durch das wir nach innen unbefriedigt, nach außen ohne befriedigende Wirkung bleiben.
Blickt um euch, und seht, wo ihr lebt, und für wen ihr Kunst schafft! – Daß uns die künstlerischen Genossen zur Darstellung eines dramatischen Kunstwerkes unvorhanden sind, müssen wir erkennen, wenn wir irgend durch den künstlerischen Willen geschärfte Augen haben. Wie würden wir uns nun irren, wenn wir diese Erscheinung bloß aus einer von ihnen selbst verschuldeten Entsittlichung unsrer Opernsänger erklären
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