Oper und Drama
diesen Organismus aus der Mechanik herzustellen, ihm sein inneres Leben zu vindizieren, und ihn uns am lebendigsten eben im Akte der Gebärung zu zeigen. Das, womit er diesen Organismus befruchtete, war aber immer nur noch die absolute Melodie; er belebte somit diesen Organismus nur dadurch, daß er ihn – sozusagen – im Gebären übte , und zwar indem er ihn die bereits fertige Melodie wieder gebären ließ. Gerade durch dieses Verfahren fand er sich aber dazu hingedrängt, dem nun bis zur gebärenden Kraft neu belebten Organismus der Musik auch den befruchtenden Samen zuzuführen, und diesen entnahm er der zeugenden Kraft des Dichters. Fern von allem ästhetischen Experimentieren, konnte Beethoven, der hier unbewußt den Geist unsres künstlerischen Entwickelungsganges in sich aufnahm, doch nicht anders, als in gewissem Sinne spekulativ zu Werke gehen. Er selbst war keinesweges durch den zeugenden Gedanken eines Dichters zum unwillkürlichen Schaffen angeregt, sondern er sah sich in musikalischer Gebärungslust nach dem Dichter um. So erscheint selbst seine Freude-Melodie noch nicht auf oder durch die Verse des Dichters erfunden, sondern nur im Hinblick auf Schillers Gedicht, in der Anregung durch seinen allgemeinen Inhalt, verfaßt. Erst wo Beethoven von dem Inhalte dieses Gedichtes im Verlaufe bis zur dramatischen Unmittelbarkeit gesteigert wird, [Fußnote: Ich weise namentlich auf das »Seid umschlungen, Millionen!« und die Verbindung dieses Themas mit dem »Freude, schöner Götterfunken!« hin, um mich ganz deutlich zu machen.] sehen wir seine melodischen Kombinationen immer bestimmter auch aus dem Wortverse des Gedichtes hervorwachsen, so daß der unerhört mannigfaltigste Ausdruck seiner Musik gerade nur dem, allerdings höchsten Sinne des Gedichtes und Wortlautes in solcher Unmittelbarkeit entspricht, daß die Musik von dem Gedichte getrennt uns plötzlich gar nicht mehr denkbar und begreiflich erscheinen kann. Und hier ist der Punkt, wo wir das Resultat der ästhetischen Forschung über den Organismus des Volksliedes mit erhellendster Deutlichkeit durch einen künstlerischen Akt selbst bestätigt sehen. Wie die lebendige Volksmelodie untrennbar vom lebendigen Volksgedichte ist, abgetrennt von diesem aber organisch getötet wird, so vermag der Organismus der Musik die wahre, lebendige Melodie nur zu gebären, wenn er vom Gedanken des Dichters befruchtet wird. Die Musik ist die Gebärerin, der Dichter der Erzeuger; und auf dem Gipfel des Wahnsinnes war die Musik daher angelangt, als sie nicht nur gebären, sondern auch zeugen wollte.
Die Musik ist ein Weib .
Die Natur des Weibes ist die Liebe : aber diese Liebe ist die empfangende und in der Empfängnis rückhaltlos sich hingebende .
Das Weib erhält volle Individualität erst im Momente der Hingebung. Es ist das Wellenmädchen, das seelenlos durch die Wogen seines Elementes dahinrauscht, bis es durch die Liebe eines Mannes erst die Seele empfängt. Der Blick der Unschuld im Auge des Weibes ist der endlos klare Spiegel, in welchem der Mann so lange eben nur die allgemeine Fähigkeit zur Liebe erkennt, bis er sein eigenes Bild in ihm zu erblicken vermag: hat er sich darin erkannt, so ist auch die Allfähigkeit des Weibes zu der einen drängenden Notwendigkeit verdichtet, ihn mit der Allgewalt vollsten Hingebungseifers zu lieben.
Das wahre Weib liebt unbedingt, weil es lieben muß. Es hat keine Wahl, außer da, wo es nicht liebt. Wo es aber lieben muß, da empfindet es einen ungeheuren Zwang, der zum erstenmal auch seinen Willen entwickelt. Dieser Wille, der sich gegen den Zwang auflehnt, ist die erste und mächtigste Regung der Individualität des geliebten Gegenstandes, die durch das Empfängnis in das Weib gedrungen, es selbst mit Individualität und Willen begabt hat. Dies ist der Stolz des Weibes, der ihm nur aus der Kraft der Individualität erwächst, die es eingenommen hat und mit der Not der Liebe zwingt. So kämpft es um des geliebten Empfängnisses willen gegen den Zwang der Liebe selbst, bis es unter der Allgewalt dieses Zwanges inne wird, daß er, wie sein Stolz, nur die Kraftausübung der empfangenen Individualität selbst ist, daß die Liebe und der geliebte Gegenstand eins sind, daß es ohne diese weder Kraft noch Willen hat, daß es von dem Augenblicke an, wo es Stolz empfand, bereits vernichtet war. Das offene Bekenntnis dieser Vernichtung ist dann das tätige Opfer der letzten Hingebung des Weibes: sein Stolz geht so mit
Weitere Kostenlose Bücher