Oper und Drama
Bewußtsein in das einzige auf, was es zu empfinden vermag, was es fühlen und denken kann, ja, was es selbst ist – in die Liebe zu diesem Manne. –
Ein Weib, das nicht mit diesem Stolze der Hingebung liebt, liebt in Wahrheit gar nicht. Ein Weib, das gar nicht liebt, ist aber die unwürdigste und widerlichste Erscheinung der Welt. Führen wir uns die charakteristischen Typen solcher Frauen vor!
Man hat die italienische Opernmusik sehr treffend eine Lustdirne genannt. Eine Buhlerin kann sich rühmen, immer sie selbst zu bleiben; sie gerät nie außer sich, sie opfert sich nie, außer wenn sie selbst Lust empfinden oder einen Vorteil gewinnen will, und für diesen Fall bietet sie nur den Teil ihres Wesens fremdem Genusse dar, über den sie mit Leichtigkeit verfügen kann, weil er ihr ein Gegenstand ihrer Willkür geworden ist. Bei der Liebesumarmung der Buhlerin ist nicht das Weib gegenwärtig, sondern nur ein Teil seines sinnlichen Organismus: sie empfängt in der Liebe nicht Individualität, sondern sie gibt sich ganz generell wiederum an das Generelle hin. So ist die Buhlerin ein unentwickeltes, verwahrlostes Weib – aber sie übt doch wenigstens sinnliche Funktionen des weiblichen Geschlechtes aus, an denen wir das Weib noch – wenn auch mit Bedauern – zu erkennen vermögen.
Die französische Opernmusik gilt mit Recht als Kokette . Die Kokette reizt es, bewundert, ja gar geliebt zu werden: die ihr eigentümliche Freude am Bewundert- und Geliebtsein kann sie aber nur genießen, wenn sie selbst weder in Bewunderung noch gar in Liebe für den Gegenstand, dem sie beides einflößt, befangen ist. Der Gewinn, den sie sucht, ist die Freude über sich selbst, die Befriedigung der Eitelkeit: daß sie bewundert und geliebt wird, ist der Genuß ihres Lebens, der augenblicklich ihr getrübt wäre, sobald sie selbst Bewunderung oder Liebe empfände. Liebte sie selbst, so wäre sie ihres Selbstgenusses beraubt, denn in der Liebe muß sie notwendig sich selbst vergessen, und dem schmerzlichen, oft selbstmörderischen Genusse des anderen sich hingeben. Vor nichts hütet sich daher die Kokette so sehr als vor der Liebe, um das einzige, was sie liebt, unberührt zu erhalten, nämlich sich selbst, d. h. das Wesen, das seine verführerische Kraft, seine angeübte Individualität, doch erst der Liebesannäherung des Mannes entnimmt, dem sie – die Kokette – sein Eigentum somit zurückhält. Die Kokette lebt daher vom diebischen Egoismus, und ihre Lebenskraft ist frostige Kälte. In ihr ist die Natur des Weibes zu ihrem widerlichen Gegenteile verkehrt und von ihrem kalten Lächeln, das uns nur unser verzerrtes Bild zurückspiegelt, wenden wir uns wohl in Verzweiflung zur italienischen Lustdirne hin.
Aber noch einen Typus entarteter Frauen gibt es, der uns gar mit widerwärtigem Grauen erfüllt: das ist die Prüde , als welche uns die sogenannte »deutsche« [Fußnote: Unter »deutscher« Oper verstehe ich hier natürlich nicht die Webersche Oper, sondern diejenige moderne Erscheinung, von der man um so mehr spricht, je weniger sie in Wahrheit eigentlich vorhanden ist – wie das »deutsche Reich«. Das Besondere dieser Oper besteht darin, daß sie ein Gedachtes und Gemachtes derjenigen modernen deutschen Komponisten ist, die nicht dazu kommen, französische oder italienische Operntexte zu komponieren, was sie einzig verhindert, italienische oder französische Opern zu schreiben, und ihnen zum nachträglichen Troste die stolze Einbildung erweckt, etwas ganz Besonderes, Auserwähltes zustande bringen zu können, da sie doch viel mehr Musik verstünden als die Italiener und Franzosen. ] Opernmusik gelten muß. – Der Buhlerin mag es begegnen, daß in ihr für den umarmenden Jüngling plötzlich die Opferglut der Liebe aufschlägt – gedenken wir des Gottes und der Bajadere! –; der Kokette mag es sich ereignen, daß sie, die immer mit der Liebe spielt, in diesem Spiele sich eng verstrickt und trotz aller Gegenwehr der Eitelkeit sich von dem Netze gefangen sieht, in dem sie nun weinend den Verlust ihres Willens beklagt. Nie aber wird dem Weibe dieses schöne Menschliche begegnen, das ihre Unbeflecktheit mit orthodoxem Glaubensfanatismus bewacht – dem Weibe, dessen Tugend grundsätzlich in der Lieblosigkeit besteht. Die Prüde ist nach den Regeln des Anstandes erzogen, und hat das Wort »Liebe« von Jugend auf nur mit scheuer Verlegenheit aussprechen gehört. Sie tritt, das Herz voll Dogma, in die Welt, blickt scheu um
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