Oper und Drama
Sinne, sondern an die Einbildungskraft sich kundgebende Literaturgedicht, in welchem diese Einbildungskraft zum eigentlichen darstellenden Faktor gemacht worden war, zu dem sich das Gedicht nur anregend verhielt. –
Eine solche künstliche Kunst erreicht irgendwelche Wirkung allerdings nur durch genaueste Beobachtung von Grenzen und Schranken, weil sie sorgsam darauf bedacht sein muß, durch vorsichtigstes Verfahren die unbegrenzte Einbildungskraft, die statt ihrer die eigentliche Darstellerin zu sein hat, vor jeder ausschweifenden Verwirrung zu bewahren, um sie dagegen auf den einen gedrängten Punkt hinzuleiten, in welchem sie den beabsichtigten Gegenstand sich so deutlich und bestimmt wie möglich vorzustellen vermag. An die Einbildungskraft einzig wenden sich aber alle egoistisch vereinzelten Künste, und namentlich auch die bildende Kunst, die das wichtigste Moment der Kunst, die Bewegung , nur durch den Appell an die Phantasie ermöglichen kann. Alle diese Künste deuten nur an ; wirkliche Darstellung wäre ihnen aber nur durch Kundgebung an die Universalität der Kunstempfänglichkeit des Menschen, durch Mitteilung an seinen vollkommenen sinnlichen Organismus, nicht an seine Einbildungskraft möglich, denn das wirkliche Kunstwerk erzeugt sich eben nur durch den Fortschritt aus der Einbildung in die Wirklichkeit, das ist: Sinnlichkeit.
Lessings redliches Bemühen, die Grenzen jener getrennten Kunstarten, die eben nicht mehr unmittelbar darstellen, sondern nur noch schildern konnten, zu bezeichnen, wird nun heutzutage von denen auf das Geistloseste mißverstanden, denen der ungeheure Unterschied zwischen diesen Künsten und der eigentlich wirklichen Kunst unbegreiflich bleibt. Indem sie immer nur diese einzelnen, an sich für die unmittelbare Darstellung ohnmächtigen, Kunstarten vor Augen haben, können sie natürlich die Aufgabe jeder derselben – und somit (wie sie wähnen müssen) der Kunst überhaupt – nur darein setzen, daß so ungestört wie möglich die Schwierigkeit überwunden werde, der Einbildungskraft durch Schilderung einen festen Anhaltepunkt zu geben; die Mittel zu dieser Schilderung häufen kann sehr richtig die Schilderung nur verwirren, und die Phantasie, indem sie durch Vorführung ungleicher Schilderungsmittel beängstigt oder zerstreut wird, von der Erfassung des Gegenstandes nur ablenken.
Reinheit der Kunstart wird daher das erste Erfordernis für ihre Verständlichkeit, wogegen Mischung der Kunstarten diese Verständlichkeit nur trüben kann. In der Tat kann uns nichts Verwirrenderes vorkommen, als wenn z. B. der Maler seinen Gegenstand in einer Bewegung darstellen wollte, deren Schilderung nur dem Dichter möglich ist; vollkommen widerwärtig erscheint uns aber gar erst ein Gemälde, in welchem die Verse des Dichters einer Person in den Mund geschrieben sind. Wenn der Musiker – d. h. der absolute Musiker – zu malen versucht, so bringt er weder Musik noch ein Gemälde zustande; wollte er aber die Anschauung eines wirklichen Gemäldes durch seine Musik begleiten, so dürfte er sicher sein, daß man weder das Gemälde noch seine Musik verstehen würde. Wer sich die Vereinigung aller Künste zum Kunstwerke nur so vorstellen kann, als ob darunter gemeint sei, daß z. B. in einer Gemäldegalerie und zwischen aufgestellten Statuen ein Goethescher Roman vorgelesen und dazu noch eine Beethovensche Symphonie vorgespielt würde, [Fußnote: So in der Tat stellen sich kindisch-kluge Hofliteraten das von mir bezeichnete »vereinigte Kunstwerk« vor, wenn sie dies für einen Akt des »wüsten Durcheinanderwerfens« aller Kunstarten ansehen zu müssen glauben. Ein Königlich-Sächsisch-Staatsministerieller Kritiker findet aber auch für gut, meinen Appell an die Sinnlichkeit als groben »Sensualismus« aufzufassen, worunter er natürlich Bauchgelüste verstanden wissen will. – Man kann den Blödsinn dieser Ästhetiker nur durch ihre lügnerische Absicht erklären. –] der hat allerdings recht, wenn er auf Trennung der Künste besteht und es jeder einzelnen zugewiesen lassen will, wie sie sich zu möglichst deutlicher Schilderung ihres Gegenstandes verhelfe. Daß aber von unsern modernen Staatsästhetikern auch das Drama in die Kategorie einer Kunst art gestellt, und als solche dem Dichter als besonderes Eigentum in dem Sinne zugesprochen wird, daß die Einmischung einer anderen Kunst, wie der Musik, in dasselbe der Entschuldigung bedürfe, keinesweges aber als gerechtfertigt anzusehen
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