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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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melodischer Kundgebung sich bis zur schmerzlichsten Sehnsucht steigern und in den Werken keines Musikers sehen wir diese Sehnsucht zu solcher Macht und Gewalt erwachsen wie in den großen Instrumentalwerken Beethovens . In ihnen bewundern wir die ungeheuersten Anstrengungen des nach Menschwerdung verlangenden Mechanismus, die dahin gingen, alle seine Bestandteile in Blut und Nerven wirklich lebendigen Organismusses aufzulösen, um durch ihn zur unfehlbaren Äußerung als Melodie zu gelangen.
    Hierin zeigt sich bei Beethoven der eigentümliche und entscheidende Gang unserer ganzen Kunstentwickelung bei weitem wahrhaftiger als bei unsern Opernkomponisten. Diese erfaßten die Melodie als etwas außerhalb ihres Kunstschaffens Liegendes, Fertiges; sie lösten die Melodie, an deren organischer Erzeugung sie gar keinen Teil genommen hatten, vom Munde des Volkes los, rissen sie somit aus ihrem Organismus heraus, und verwandten sie eben nur nach willkürlichem Gefallen, ohne diese Verwendung irgendwie anders als durch luxuriöses Belieben zu rechtfertigen. War jene Volksmelodie die äußere Gestalt des Menschen, so zogen die Opernkomponisten diesem Menschen gewissermaßen seine Haut ab, und bedeckten mit ihr einen Gliedermann, wie um ihm menschliches Ansehen zu geben: sie konnten hiermit höchstens nur die zivilisierten Wilden unseres halbhinschauenden Opernpublikums täuschen.
    Bei Beethoven dagegen erkennen wir den natürlichen Lebensdrang, die Melodie aus dem inneren Organismus der Musik heraus zu gebären. In seinen wichtigsten Werken stellt er die Melodie keinesweges als etwas von vornherein Fertiges hin, sondern er läßt sie aus ihren Organen heraus gewissermaßen vor unseren Augen gebären ; er weiht uns in diesen Gebärungsakt ein, indem er ihn uns nach seiner organischen Notwendigkeit vorführt. Das Entscheidendste, was der Meister in seinem Hauptwerke uns endlich aber kundtut, ist die von ihm als Musiker gefühlte Notwendigkeit, sich in die Arme des Dichters zu werfen, um den Akt der Zeugung der wahren, unfehlbar wirklichen und erlösenden Melodie zu vollbringen. Um Mensch zu werden, mußte Beethoven ein ganzer , d. h. gemeinsamer, den geschlechtlichen Bedingungen des Männlichen und Weiblichen unterworfener Mensch werden. – Welch ernstes, tiefes und sehnsüchtiges Sinnen entdeckte dem unendlich reichen Musiker endlich erst die schlichte Melodie, mit der er in die Worte des Dichters ausbrach: »Freude, schöner Götterfunken!« – Mit dieser Melodie ist uns aber auch das Geheimnis der Musik gelöst: wir wissen nun, und haben die Fähigkeit gewonnen, mit Bewußtsein organisch schaffende Künstler zu sein. –
    Verweilen wir jetzt bei dem wichtigsten Punkte unserer Untersuchung, und lassen wir uns dabei von der »Freudemelodie« Beethovens leiten. –
    Die Volksmelodie bot uns bei ihrer Wiederauffindung von seiten der Kulturmusiker ein zweifaches Interesse; das der Freude an ihrer natürlichen Schönheit, wo wir sie unentstellt im Volke selbst antrafen, und das der Forschung nach ihrem inneren Organismus. Die Freude an ihr mußte, genaugenommen, für unser Kunstschaffen unfruchtbar bleiben: wir hätten uns, dem Gehalt und der Form nach, streng nur in einer dem Volksliede selbst ähnlichen Kunstgattung bewegen müssen, um mit einigem Erfolge auch diese Melodie nachahmen zu können; ja, wir hätten selbst im genauesten Sinne Volkskünstler sein müssen, um die Fähigkeit dieser Nachahmung zu gewinnen; wir hätten sie eigentlich also gar nicht nachzuahmen, sondern als Volk selbst wieder zu erfinden haben müssen.
    Wir konnten dagegen, in einem ganz anderen – von dem des Volkes himmelweit verschiedenen Kunstschaffen befangen, diese Melodie im gröbsten Sinne eben nur verwenden, und zwar in einer Umgebung und unter Bedingungen, die sie notwendig entstellen mußten. Die Geschichte der Opernmusik führt sich im Grunde einzig auf die Geschichte dieser Melodie zurück, in welcher nach gewissen, denen der Ebbe und Flut ähnlichen Gesetzen, die Perioden der Aufnahme und Wiederaufnahme der Volksmelodie mit denen ihrer eintretenden und immer wieder überhandnehmenden Entstellung und Entartung wechseln. – Diejenigen Musiker, die dieser üblen Eigenschaft der zur Opernarie gewordenen Volksmelodie am schmerzlichsten inne wurden, sahen sich daher auf die mehr oder weniger deutlich empfundene Notwendigkeit hingedrängt, auf die organische Zeugung der Melodie selbst bedacht zu sein. Der Opernkomponist stand der Auffindung des

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