Oper und Drama
äußerste Spitze des Virtuosentumes kundtat, daß der Wundermann des Klavieres, Liszt , gegenwärtig mit so wuchtvoller Energie dem tönenden Orchester und, gleichsam durch dieses Orchester, der lebendigen menschlichen Stimme sich zuwendet. ] aus rückwärts bis auf den Ursprung dieses Klaviers verfolgen, und was gilt es? Wir treffen endlich auf den lebendigen menschlichen Sprachton , der mit dem Gesangtone ein und dasselbe ist, und ohne den wir weder Klavier noch Literaturdrama kennen würden. –
[ I ]
Das moderne Drama hat zweierlei Ursprung: einen natürlichen, unserer geschichtlichen Entwickelung eigentümlichen, den Roman – und einen fremdartigen, unserer Entwickelung durch Reflexion aufgepfropften, das, nach den mißverstandenen Regeln des Aristoteles aufgefaßte griechische Drama .
Der eigentliche Kern unserer Poesie liegt im Roman; im Streben, diesen Kein so schmackhaft wie möglich zu machen, sind unsere Dichter wiederholt auf fernere oder nähere Nachahmung des griechischen Dramas verfallen. –
Die höchste Blüte des dem Roman unmittelbar entsprungenen Dramas haben wir in den Schauspielen des Shakespeare ; in weitester Entfernung von diesem Drama treffen wir auf dessen vollkommensten Gegensatz in der »Tragédie« des Racine . Zwischen beiden Endpunkten schwebt unsere ganze übrige dramatische Literatur unentschieden und schwankend hin und her. Um den Charakter dieses unentschiedenen Schwankens genau zu erkennen, müssen wir uns etwas näher nach dem natürlichen Ursprunge unseres Dramas umsehen.
Wenn wir seit dem Erlöschen der griechischen Kunst uns im Gange der Weltgeschichte nach einer Kunstperiode umsehen, der wir uns mit Stolz erfreuen können wollen, so ist dies die Periode der sogenannten »Renaissance«, mit der wir den Ausgang des Mittelalters und den Beginn der neueren Zeit bezeichnen. Hier strebt mit wahrer Riesenkraft der innere Mensch sich zu äußern. Der ganze Gärungsstoff der wunderbaren Mischung germanisch individuellen Heroentumes mit dem Geiste des römisch-katholizisierenden Christentumes drängte sich von innen nach außen, gleichsam um in der Äußerung seines Wesens den unlösbaren inneren Skrupel loszuwerden. Überall äußerte sich dieser Drang nur als Lust zur Schilderung, denn unbedingt ganz und gar sich selbst geben kann nur der Mensch, der im Inneren ganz mit sich einig ist: das war aber der Künstler der Renaissance nicht; dieser erfaßte das Äußere nur in der Begierde, vor dem inneren Zwiespalte zu fliehen. Sprach sich dieser Trieb am Erkenntlichsten nach der Richtung der bildenden Künste hin aus, so ist er in der Dichtung nicht minder ersichtlich. Nur ist zu beachten, daß, wie die Malerei sich zu treuester Schilderung des lebendigen Menschen angelassen hatte, die Dichtkunst sich von der Schilderung bereits schon zur Darstellung wandte, und zwar indem sie vom Roman zum Drama vorschritt.
Die Poesie des Mittelalters hatte bereits das erzählende Gedicht hervorgebracht und bis zur höchsten Blüte entwickelt. Dieses Gedicht schilderte menschliche Handlungen und Vorgänge, und deren bewegungsvollen Zusammenhang, in der Weise, wie ähnlich der Maler sich bemüht, die charakteristischen Momente solcher Handlungen uns vorzuführen. Das Vermögen des Dichters, der von der unmittelbaren, lebendigen Darstellung der Handlung durch wirkliche Menschen absah, war aber so unbegrenzt als die Einbildungskraft des Lesers oder Zuhörers, an die er sich einzig wandte. Dieses Vermögen fühlte sich zu den ausschweifendsten Kombinationen von Vorfällen und Lokalitäten um so mehr veranlaßt, als sein Gesichtskreis sich über ein immer anschwellenderes Meer außen vorgehender Handlungen verbreitete, wie sie eben aus dem Gebaren jener abenteuersüchtigen Zeit hervorgingen. Der Mensch, der in sich uneinig mit sich selbst war, und im Kunstschaffen dem Zwiespalte seines Innern entfliehen wollte – wie er zuvor vergeblich sich gemüht hatte, diesen Zwiespalt selbst künstlerisch zu bewältigen [Fußnote: Denken wir an die eigentliche christliche Poesie. ] –, fühlte nicht den Drang, ein bestimmtes Etwas seines Inneren auszusprechen, sondern dieses Etwas vielmehr erst in der Außenwelt zu suchen: er zerstreute sich gewissermaßen nach innen durch willigstes Erfassen alles von der Außenwelt ihm Vorgeführten, und je mannigfaltiger und bunter er diese Erscheinungen zu mischen verstand, desto sicherer durfte er eben den unwillkürlichen Zweck innerer Zerstreuung zu erreichen
Weitere Kostenlose Bücher