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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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sei, das heißt aus der Lessingschen Definition eine Konsequenz ziehen, von deren Berechtigung in dieser nicht eine Spur vorhanden ist. Diese Leute sehen aber im Drama nichts anderes als einen Literaturzweig , eine Gattung der Dichtkunst wie Roman oder Lehrgedicht, nur mit dem Unterschiede, daß jenes, anstatt bloß gelesen, von verschiedenen Personen auswendig gelernt, deklamiert, mit Gesten begleitet und von Theaterlampen beleuchtet werden soll. Zu einem auf der Bühne dargestellten Literaturdrama würde sich eine Musik allerdings fast ebenso verhalten, als ob sie zu einem aufgestellten Gemälde vorgetragen würde, und mit Recht ist daher das sogenannte Melodrama als ein Genre von unerquicklichster Gemischtheit verworfen worden. Dieses Drama, das unsere Literaten einzig im Sinne haben, ist aber ebensowenig ein wahres Drama als ein Klavier [Fußnote: Eine Violine zum Klavier gespielt, vermischt sich ebensowenig mit diesem Instrumente, wie die Musik zu einem Literaturdrama sich mit diesem vermischen würde.] ein Orchester, oder gar ein Sängerpersonale ist. Die Entstehung des Literaturdramas verdankt sich ganz demselben egoistischen Geiste unserer allgemeinen Kunstentwickelung wie das Klavier, und an ihm will ich diesen Gang in Kürze recht deutlich machen.
    Das älteste, echteste und schönste Organ der Musik, das Organ, dem unsere Musik allein ihr Dasein verdankt, ist die menschliche Stimme ; am natürlichsten wurde sie durch das Blasinstrument , dieses wieder durch das Saiteninstrument nachgeahmt: der symphonische Zusammenklang eines Orchesters von Blas- und Streichinstrumenten ward wieder von der Orgel nachgeahmt; die unbehülfliche Orgel aber endlich durch das leicht handhabbare Klavier ersetzt. Wir bemerken hierbei zunächst, daß das ursprüngliche Organ der Musik von der menschlichen Stimme bis zum Klavier zu immer größerer Ausdruckslosigkeit herabsank. Die Instrumente des Orchesters, die den Sprachlaut der Stimme bereits verloren hatten, vermochten den menschlichen Ton, in seinem unendlich mannigfaltigen und lebhaft wechselnden Ausdrucksvermögen, noch am genügendsten nachzuahmen; die Pfeifen der Orgel konnten diesen Ton nur noch nach seiner Zeitdauer, nicht aber mehr nach seinem wechselnden Ausdrucke festhalten, bis endlich das Klavier selbst diesen Ton nur noch andeutete, seinen wirklichen Körper aber der Gehörphantasie sich zu denken überließ. So haben wir im Klavier ein Instrument, welches die Musik nur noch schildert. Wie kam es aber, daß der Musiker sich endlich mit einem tonlosen Instrumente begnügte? Aus keinem anderen Grunde, als um allein , ganz für sich, ohne gemeinsames Zusammenwirken mit anderen, sich Musik machen zu können. Die menschliche Stimme, die an und für sich nur in Verbindung mit der Sprache sich melodisch kundzugeben vermag, ist ein Individuum ; nur das übereinstimmende Zusammenwirken mehrerer solcher Individuen bringt die symphonische Harmonie hervor. Die Blas- und Streichinstrumente standen der menschlichen Stimme auch darin noch nahe, daß auch ihnen dieser individuelle Charakter zu eigen blieb, durch den jedes von ihnen eine bestimmte, wenn auch noch so reich zu modulierende Klangfarbe besaß, und zur Hervorbringung harmonischer Wirkungen zum ebenfalls gemeinsamen Zusammenwirken genötigt war. In der christlichen Orgel waren bereits alle diese lebendigen Individualitäten in tote Pfeifenregister gereiht, die auf den befehlenden Tastentritt des einen und unteilbaren Spielers ihre mechanisch hervorgetriebenen Stimmen zur Ehre Gottes erhoben. Auf dem Klaviere endlich konnte der Virtuos ohne die Beihülfe irgendeines anderen (der Orgelspieler hatte noch des Balgentreters bedurft) eine Unzahl von klopfenden Hämmern zu seiner eigenen Ehre in Bewegung setzen, denn dem Zuhörenden, der an einer tönenden Musik sich nicht mehr zu erfreuen hatte, blieb nur noch die Bewunderung der Fertigkeit des Tastenschlägers als Amüsement übrig. – Wahrlich, unsere ganze moderne Kunst gleicht dem Klaviere: in ihr verrichtet jeder einzelne das Werk einer Gemeinsamkeit, aber leider eben nur in abstracto und mit vollster Tonlosigkeit! Hämmer – aber keine Menschen! –
    Wir wollen nun das Literaturdrama, in das unsere Staatsästhetiker mit so puritanistischem Hochmute der herrlich atmenden Musik den Eintritt versperren, vom Standpunkte des Klavieres [Fußnote: Mir gilt es wahrlich nicht bedeutungslos, daß derjenige Klaviervirtuos, der in unseren Tagen nach jeder Seite hin die

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