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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Christentum als Welterscheinung sich auch lediglich von diesem fortgesetzten Zwiespalte, und ihn absichtlich zu unterhalten mußte daher zur Lebensaufgabe der Kirche werden, sobald sie einmal ihres Lebensquelles sich vollkommen bewußt ward. –
    Auch die christliche Kirche hatte nach Einheit gerungen: alle Kundgebungen des Lebens sollten in sie, als den Mittelpunkt des Lebens, auslaufen. Sie war aber nicht ein Mittelpunkt, sondern ein Endpunkt des Lebens, denn das Geheimnis des wahrsten christlichen Wesens war der Tod. Am anderen Endpunkte stand nun aber der natürliche Quell des Lebens selbst, dessen der Tod eben nur durch Vernichtung Herr zu werden vermag: die Gewalt, die dieses Leben aber ewig dem christlichen Tode zuführte, war keine andere als der Staat selbst. Der Staat war der eigentliche Lebensquell der christlichen Kirche; diese wütete gegen sich selbst, als sie gegen den Staat kämpfte. Was die Kirche im herrschsüchtigen, aber redlichen , mittelalterlichen Glaubenseifer bestritt, war der Rest von altheidnischer Gesinnung, der sich in der individuellen Selbstberechtigung der weltlichen Machthaber aussprach: sie drängte diese Machthaber dadurch, daß sie ihnen die Nachsuchung ihrer Berechtigung durch göttliche Bestätigung vermittelst der Kirche auferlegte, aber gewaltsam zur Konsolidierung des absoluten, niet- und nagelfesten Staates hin, wie als ob sie gefühlt hätte, solch ein Staat sei ihr zu ihrer eigenen Existenz nötig. So mußte die christliche Kirche ihren eigenen Gegensatz, den Staat, endlich selbst befestigen helfen, um in einer dualistischen Existenz ihre eigene zu ermöglichen: sie ward selbst zu einer politischen Macht, weil sie fühlte, daß sie nur in einer politischen Welt existieren könne. Die christliche Anschauung, die in ihrem innersten Bewußtsein eigentlich den Staat aufhob, ist, zur Kirche verdichtet, nicht nur zur Rechtfertigung des Staates geworden, sondern sie hat sein die freie Individualität zwingendes Bestehen erst zu solch drückender Fühlbarkeit gebracht, daß von nun an der nach außen geleitete Drang der Menschheit sich auf die Befreiung von Kirche und Staat zugleich gerichtet hat, wie zur letzten Verwirklichung der nach ihrem Wesen erschauten Natur der Dinge auch im menschlichen Leben selbst.
    Zunächst aber war die Wirklichkeit des Lebens und seiner Erscheinungen selbst in der Weise aufzufinden, wie die Wirklichkeit der natürlichen Erscheinungen durch Entdeckungsreisen und wissenschaftliche Forschungen aufgefunden worden war. Der bis jetzt dahin nach außen gerichtete Drang der Menschen kehrte nun zur Wirklichkeit auch des sozialen Lebens zurück, und zwar mit um so größerem Eifer, als sie, nach äußerster Flucht in aller Welt Enden, des Zwanges dieser sozialen Zustände nie sich entledigen hatten können, sondern überall ihm unterworfen geblieben waren. Das, vor dem man unwillkürlich geflohen war, und dem man in Wahrheit doch nie entfliehen konnte, mußte endlich als in unseren eigenen Herzen und in unserer unwillkürlichen Anschauung vom Wesen der menschlichen Dinge so tief begründet erkannt werden, daß vor ihm eine bloße Flucht nach außen unmöglich war. Aus den unendlichen Räumen der Natur zurückkommend, wo wir die Einbildungen unserer Phantasie vom Wesen der Dinge widerlegt gefunden hatten, suchten wir notgedrungen in einer klaren und deutlichen Beschauung auch der menschlichen Zustände dieselbe Widerlegung für eine eingebildete, unrichtige Ansicht von ihnen, aus der heraus wir selbst sie so genährt und gestaltet haben mußten, als wir zuvor die Erscheinungen der Natur aus unserer irrtümlichen Ansicht uns gestaltet hatten. Der erste und wichtigste Schritt zur Erkenntnis bestand daher darin, die Erscheinungen des Lebens nach ihrer Wirklichkeit zu erfassen, und zwar zunächst ohne alle Beurteilung, sondern mit dem Bemühen, ihren Tatbestand und Zusammenhang uns so ersichtlich und der Wahrheit entsprechend wie möglich vorzuführen. Solange Seefahrer nach vorgefaßten Meinungen die zu entdeckenden Gegenstände sich vorgestellt hatten, mußten sie durch die endlich erkannte Wirklichkeit sich immer enttäuscht sehen; der Erforscher unserer Lebenszustände hielt sich daher zu immer größerer Vorurteilslosigkeit an, um ihrem wirklichen Wesen desto sicherer auf den Grund zu kommen. Die ungetrübteste Anschauungsweise der nackten, unentstellten Wirklichkeit wird von nun an die Richtschnur des Dichters: die Menschen und ihre Zustände wie sie sind,

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