Operation Amazonas
erklärt. »Und zwar von jedem.«
So gut vorbereitet, wie es unter den gegebenen Umständen möglich war, brachen sie auf.
Als Nate die Lichtung überquerte, blickte er zu dem riesigen prähistorischen Nacktsamer auf. Die weiße Rinde und die leise raschelnden Blätter glitzerten vom Tau. An den schichtweise angeordneten Ästen hingen riesige Nüsse, Miniaturausgaben der von Menschenhand erbauten Hütten. Nate brannte darauf, mehr über den Riesenbaum zu erfahren.
Als sie die dicken, knorrigen Wurzeln erreichten, geleitete Kelly sie zwischen den natürlichen Säulen hindurch zur Öffnung im Stamm. Nate konnte gut nachvollziehen, weshalb die Eingeborenen ihren Baum als Yagga oder Mutter bezeichneten. Die Symbolik war nicht zu übersehen. Die beiden größten Stützwurzeln erinnerten an gespreizte Beine, die den gewaltigen Geburtskanal des Baumes einrahmten. Hier waren die Ban-ali geboren worden.
»Die Öffnung ist groß genug, um einem Laster Platz zu bieten«, bemerkte Zane, zu der überwölbten Öffnung aufblickend.
Nate konnte einen leichten Schauder nicht unterdrücken, als sie ins schattige Innere des Baumes traten. Der würzige Duft des Baumöls schlug ihnen entgegen. Die Wand war mit Hunderten großer und kleiner blauer Handabdrücke geschmückt. Waren hier sämtliche Stammesmitglieder vertreten? War vielleicht auch der Handabdruck seines Vaters dabei?
»Mir nach«, sagte Kelly und stieg als Erste den Wendelgang hinauf.
Als sie höher kamen, verschwanden die Handabdrücke.
Nate musterte die leeren Wände, dann blickte er sich zum Eingang um. Irgendetwas beunruhigte ihn, doch konnte er nicht sagen, was. Etwas kam ihm ungewöhnlich vor. Er betrachtete die Kanäle im Holz, die Gefäßbündel des Xylems und Phloems, in denen Wasser und Nährstoffe durch den Stamm transportiert wurden. Die Kanäle beschrieben anmutige Bögen an den Wänden. Weiter unten jedoch, dort, wo der Gang unvermittelt endete, waren die Kanäle nicht mehr sanft geschwungen, sondern ungleichmäßig ausgefranst. Ehe er sich über das Phänomen klar werden konnte, waren sie schon eine Umrundung weiter.
»Es ist ein langer Aufstieg«, meinte Kelly und zeigte in die Höhe. »Die Heilkammer befindet sich ganz oben in der Nähe der Baumkrone.«
Nate folgte ihr. Der Tunnel wirkte wie der Gang eines monströsen Insekts. Aufgrund seiner Botanikstudien war er auch mit Baumschädlingen vertraut: mit dem Gebirgstannenkäfer, dem europäischen Borkenkäfer und dem Bohrer. Dieser Gang war jedoch nicht ausgehöhlt worden – dafür hätte er seine Hand ins Feuer gelegt. Er war natürlichen Ursprungs, so wie die Kanäle in Stengeln und Stamm des Ameisenbaums – eine evolutionäre Adaption. Dies warf jedoch gleich wieder eine neue Frage auf. Der Baum war bestimmt schon Jahrhunderte alt gewesen, als die ersten Ban-ali hierher gekommen waren. Warum also hatte der Baum diese hohlen Gänge ausgebildet?
Er musste an Kellys Bemerkung vom Vorabend denken. Irgendetwas haben wir übersehen … etwas Wichtiges.
Sie kamen an mehreren Ausgängen vorbei. Einige führten unmittelbar in eine Hütte, andere auf Äste, auf denen wiederum Hütten standen. Nate zählte im Gehen. Insgesamt gab es mindestens zwanzig Ausgänge.
Zane erstattete über Funk Meldung. Auch die anderen Teams meldeten sich.
Schließlich gelangten sie zum höhlenartigen Raum am Ende des Gangs. Durch schmale Fensterschlitze drang Tageslicht. Trotzdem war es eher finster.
Kelly eilte zu ihrem Bruder.
Der kleine Schamane stand auf der anderen Seite des Raums bei einem anderen Patienten. Bei ihrem Eintreten schaute er hoch. Er war allein. »Guten Morgen«, sagte er in holprigem Englisch.
Nate nickte. Es war eine merkwürdige Vorstellung, dass er die Worte vermutlich von seinem Vater gelernt hatte. Aus den Aufzeichnungen seines Vaters wusste er zudem, dass der Schamane der nominelle Anführer des Stammes war. Die Hierarchie war bei den Ban-ali nicht besonders stark ausgeprägt. Jeder kannte seinen Platz und seine Rolle. Dies aber war der Stammeskönig, der den engsten Kontakt zur Yagga hatte.
Kelly kniete sich neben Frank. Er hatte sich aufgesetzt und saugte gerade mithilfe eines Schilfrohrs die Milch aus einer Nuss.
Schließlich legte er sein flüssiges Frühstück beiseite. »Das Frühstück der Champions«, meinte er gut gelaunt.
Nate fiel auf, dass er nach wie vor die Baseballkappe der Red Sox trug – und sonst nichts. Sein Unterleib und die Beinstümpfe waren unter einer Decke verborgen. Auf der nackten
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