Operation Amazonas
erleuchteten Stützpunkts. Die Besprechung sollte in zehn Minuten beginnen. Vielleicht würde er dabei mehr erfahren. Im Gehen blickte Nathan sich zur schlafenden Stadt um und betrachtete diese kleine Bastion der Zivilisation. Der Vollmond spiegelte sich im Fluss, ein wenig verschwommen aufgrund des Abendnebels, der sich in die Stadt hinein ausbreitete. Nur bei Nacht gewinnt der Dschungel die Oberhand über São Gabriel. Nach dem Sonnenuntergang verebbt der Stadtlärm und wird ersetzt vom widerhallenden Lied der Ziegenmelker in den umliegenden Bäumen, das begleitet wird von einem Chor blökender Frösche und dem Gezirpe der Heuschrecken und Grillen. Sogar auf den Straßen löst das Flattern der Fledermäuse und das Sirren der blutgierigen Mücken das Hupen der Autos und den Stimmenlärm der Menschen ab. Nur dann, wenn man an einer offenen Cantina vorbeikommt, aus der das ausgelassene Gelächter der Nachtschwärmer auf die Straße schwappt, macht sich noch der Mensch bemerkbar.
Ansonsten herrscht bei Nacht der Dschungel.
Nathan hielt Schritt mit Manny. »Was kann die US-Regierung bloß von mir wollen?«
Manny schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Aber es hat wohl etwas mit deinen Geldgebern zu tun.«
»Mit Tellux Pharmaceuticals?«
»Genau. Von denen sind mehrere Firmenvertreter eingetroffen. Dem Aussehen nach zu schließen Anwälte.« Nate runzelte die Stirn. »Tauchen die nicht immer auf, wenn es um Tellux geht?«
»Du hättest ihnen Eco-Tek nicht verkaufen sollen«, sagte Kouwe, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen.
Nate seufzte. »Professor …«
Der Schamane hob beschwichtigend die Hände. »Tut mir Leid. Ich weiß … ein wunder Punkt.«
Wund traf es nicht ganz. Vor zwölf Jahren gegründet, war Eco-Tek das Geistesprodukt seines Vaters. Die pharmazeutische Nischenfirma war bestrebt gewesen, das Schamanenwissen zur Entdeckung neuer Pflanzenheilmittel zu nutzen. Sein Vater hatte die Weisheit der aussterbenden
Medizinmänner des Amazonasbeckens bewahren und sicherstellen wollen, dass die Eingeborenenstämme auch weiterhin von dem Wissen profitierten, das ihr ureigenster Besitz war. Dies war nicht nur ein großer Traum seines Vaters und sein Lebensziel gewesen, sondern bedeutete auch die Erfüllung eines Versprechens, das er Nates Mutter Sarah gegeben hatte. Sie hatte als Ärztin für das Friedenskorps gearbeitet und ihr Leben den Eingeborenen gewidmet und ihre Begeisterung war ansteckend gewesen. Nates Vater hatte versprochen, ihr Werk fortzusetzen, was Jahre später zu EcoTek geführt hatte, einer Mischung aus scharf kalkulierten
Geschäftsmodellen und uneigennützigem Engagement. Jetzt aber war das Vermächtnis seiner Eltern verschwunden;
Tellux hatte es geschluckt und ausgeschlachtet.
»Sieht so aus, als würden wir eine Eskorte bekommen«, brach Manny das Schweigen.
Am Wachhäuschen standen hinter einem nervös wirkenden brasilianischen Soldaten in steifer Haltung zwei Ranger mit gelbbraunen Baretts.
Nathan musterte besorgt die in den Holstern steckenden Seitenwaffen und fragte sich erneut, worum es bei der Besprechung wohl gehen mochte.
Als sie am Tor anlangten, kontrollierte der brasilianische Wachposten ihre Ausweise. Dann trat einer der beiden Ranger vor. »Wir sollen Sie zum Besprechungsraum bringen. Bitte folgen Sie uns.« Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte los.
Nathan blickte seine Freunde an, dann trat er durchs Tor. Der zweite Ranger bildete die strategische Nachhut. Die Eskorte und die vier Militärhubschrauber auf dem Fußballfeld des Stützpunkts verursachten ihm ein flaues Gefühl im Magen. Professor Kouwe wirkte von alldem unbeeindruckt. Er schmauchte weiter sein Pfeifchen und schritt lässig hinter der bewaffneten Eskorte her. Auch Manny wirkte eher zerstreut als beunruhigt.
Man geleitete sie an den verrosteten Wellblechhütten vorbei, die als Unterkünfte für die brasilianischen Soldaten dienten, und führte sie zu einem heruntergekommenen Lagerhaus in Fachwerkbauweise, dessen wenige Fenster schwarz bemalt waren.
Der Ranger an der Spitze stieß die verrostete Tür auf. Nathan trat als Erster ein. Er hatte einen düsteren Raum voller Spinnweben erwartet und fand sich nun zu seiner Überraschung in einem großen, von Halogenlampen und Neonröhren hell erleuchteten Lagerhaus wieder. Auf dem Betonboden schlängelten sich Kabel, einige davon so dick wie sein Unterarm. In einem der drei Büros an der
Weitere Kostenlose Bücher