Operation Arche - 1
oder sogar zu töten, hat er diesen Eid in Ehren gehalten und den Mann, den er von Herzen geliebt hat, getötet – für die Verbrechen, die er begangen hat.«
Beide Jungen weinten jetzt, und ihre Mutter ebenso. Erneut stemmte sich Haarahld aus seinem Thron heraus und schloss Zhenyfyr in die Arme. Einen Augenblick später umklammerten zwei Kinderarme seinen linken Oberschenkel, und er spürte, wie Kahlvyn sich an seine Hüfte drückte. Rayjhis stand vor ihm und starrte ihn an, in seiner Miene standen Bestürzung und Trauer gleichzeitig zu lesen, und der König streckte ihm die Hand entgegen.
Der Junge, der gerade erst zum Herzog geworden war, und der dabei hatte lernen müssen, welch entsetzlichen Preis man manchmal für einen Titel zahlen musste, betrachtete seinen Monarchen durch einen schweren Tränenschleier. Und dann ergriff er die ihm dargebotene Hand mit beiden Händen und klammerte sich daran fest – wie ein Ertrinkender sich an einen rettenden Holzbalken klammern mochte.
»Es gibt einen Grund, warum euer Großvater nicht hier ist, um euch all das selbst zu erzählen«, erklärte Haarahld jetzt und sprach nun Zhenyfyr ebenso an wie ihre Söhne. »Er wollte hier sein. So schmerzhaft es auch werden würde, das wusste er, er wollte es dir persönlich sagen, Rayjhis. Aber ich habe es nicht zugelassen. Ich bin dein König, und du bist jetzt einer meiner Herzöge. Es gibt wechselseitige Verpflichtungen für Könige und ihren Adel, und die Tatsache, dass du auch noch zu meiner Familie gehörst, macht diese Verpflichtungen noch um so wichtiger. Es war meine Pflicht, es dir zu sagen. Und ich wollte, dass du es von mir hörst, weil ich wollte, dass du weißt – auch vom Herzen her weißt, nicht nur vom Verstand her –, dass nichts von dem, was geschehen ist, nichts von dem, was dein Vater getan hat oder hätte tun können, irgendetwas an dem ändern wird, was ich für dich oder deine Mutter empfinde. Letztendlich obliegt es Gott, über alle Menschen zu urteilen. Gelegentlich sind auch Könige gezwungen, ein Urteil über Menschen zu fällen, doch ein weiser König beurteilt einen Menschen, ob Mann oder Frau, stets nur nach dem, was er wirklich getan hat, und nicht nach dem, was andere getan haben mögen. Ich bin nicht immer weise, so sehr ich mich auch bemühen mag, so sehr ich auch um Gottes Führung bete. Doch das Eine verspreche ich dir: Wenn ich dich ansehe, mit den Augen deines Onkels, und mich an deinen Vater erinnere, dann wird er immer der Junge bleiben, den ich geliebt habe, und der gute Mann, den ich sehr geschätzt habe, und den ich nun auch in dir sehen werde. Und wenn ich dich mit den Augen deines Königs anblicke, dann werde ich immer den Jungen sehen, der du bist, und der Mann, der du einst werden wirst, und nicht deinen Vater, der das Vertrauen seines Königs missbraucht hat.«
Merlin schaute Zhenyfyr an, sah den Schmerz und den Verlust in ihrer Miene, und zugleich sah er auch, dass sie Haarahlds Worte verstand und ihm vertraute. Und als er diese Dinge sah, wusste Merlin, dass er recht gehabt hatte: Könige wie Haarahld VII. waren der Grund dafür, dass Charis ein Königreich war, das zu retten sich lohnte.
»Was auch immer dein Vater am Ende seines Lebens getan haben mag«, schloss Haarahld mit sanfter Stimme, »er und deine Mutter – und dein Großvater – haben dich und Kahlvyn immer gut gelehrt. Erinnere dich an das, was du gelernt hast, Kahlvyn. Vergiss diese Lektionen niemals, und halte den Mann in Ehren, der er war, als er dich all jene Dinge gelehrt hat. Dann wirst du zu einem Mann werden, der die Liebe aller verdient.«
Der Junge blickte zu ihm auf, jetzt weinte er ganz offen und ohne Scheu, und der König schloss Zhenyfyr noch einmal in die Arme, dann ließ er sie los, beugte sich vor und umarmte den jungen, fast gebrochenen Herzog von Tirian, umarmte ihn so fest, das es fast schmerzte, doch zugleich war es auch zutiefst tröstlich – für sie beide.
Einige Sekunden lang hielt er Rayjhis nur fest, sagte kein einziges Wort, dann ließ er ihn schließlich wieder los und richtete sich auf.
»Und jetzt, Euer Durchlaucht«, sagte er leise zu seinem Neffen zweiten Grades, »sollten wir aufbrechen und uns dem Rat stellen.«
.XV.
Kathedrale von Tellesberg, Tellesberg
Die Musik der mächtigen, gewaltigen Orgel erfüllte die ganze Kathedrale von Tellesberg. Die Kaikanten pumpten das Windwerk, kräftig und stetig, sorgten dafür, dass die Stimme der Orgel nie verklang, und Merlin Athrawes
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