Operation Arche - 1
– jetzt ›Lieutenant Athrawes‹ von den Royal Guards – stand an der Seite der königlichen Empore, während die Musik über ihn hinwegbrandete.
Die runde Kathedrale wurde in ein vielfarbiges Lichtermeer getaucht, als die Morgensonne durch das Buntglasfenster des Lichtgartens fiel, der das gesamte Gebäude umgab. In Form eines atemberaubenden Mosaiks blickten die Erzengel Langhorne und Bédard gestreng auf die versammelte Gemeinde herab. Merlin erwiderte den Blick, hielt diesen majestätischen Augen stand, äußerlich völlig ruhig und gefasst, trotz des Zorns, der in ihm loderte.
Eines Tages …, versprach er Pei Shan-wei … und auch diesen beiden selbst. Eines Tages …!
Er wandte den Blick von diesem Mosaik ab, eher, um nicht mehr an diesen Zorn zu denken, den er niemals anderen gegenüber sich würde anmerken lassen dürfen, als aus irgendeinem anderen Grund. Selbst hier, und selbst heute – oder vielleicht gerade heute – durften Cayleb und Haarahld nicht unbewacht bleiben, und Merlin wahrlich nicht der einzige bewaffnete, gerüstete Gardist. Auch Lieutenant Falkhan und vier seiner Marines standen zwischen der Loge und dem Hauptgang; sie blickten ebenso konzentriert drein, waren ebenso wachsam wie Merlin, während sie die gewaltige Menschenmenge betrachteten, die in den Sitzreihen Platz genommen hatte.
Wie stets waren die Aristokratie und die Oberschicht reichlich vertreten, ihre Juwelen und ihre Edelmetallstickereien glitzerten im Licht. Grob abgeschätzt, befanden sich mindestens zweitausend Menschen in der Kathedrale – genug, um selbst deren gewaltige Kapazität fast überzubeanspruchen –, und die allgemeine Stimmung, die hier herrschte, hatte etwas Sonderbares an sich.
Na ja, das ist ja auch verständlich, dachte er. Angesichts von Tirians Tod, und der Verhaftungswelle, die Wave Thunder eingeleitet hat, ist wahrscheinlich jeder im ganzen Königreich ein wenig … nervös. Und niemand aus dem Adelsstand kann es sich leisten, diesem Hochamt fernzubleiben, solange er nicht wirklich felsenfeste Beweise dafür hat, dass ihm die Anwesenheit hier nicht völlig unmöglich ist. Aber dennoch …
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde verbreitet, der Vetter des Königs habe sich des Hochverrats schuldig gemacht – und den Tod gefunden. Derartige Dinge geschahen in Charis einfach nicht, und niemand zweifelte auch nur einen Moment daran, dass sie auch jetzt nicht geschehen wären, wenn sie nicht jemand herbeigeführt hätte, der nicht aus diesem Königreich stammte. König Haarahld und sein Rat mochten vielleicht nicht willens sein, Namen zu nennen, doch die Charisianer waren sich im Allgemeinen der politischen Gegebenheiten deutlich bewusster als die Untertanen der meisten anderen Reiche auf Safehold. Wahrscheinlich war das auch unvermeidlich, wenn man bedachte, wie sehr die internationale Politik die Handelsbeziehungen beeinflusste, von denen nun einmal das Wohlergehen von ganz Charis abhing. Haarahld mochte es ja vorgezogen haben, keinerlei Schuldzuweisungen vorzunehmen, doch für seine Untertanen gab es keinen Zweifel daran, wer dafür tatsächlich verantwortlich war, und Merlin konnte die allgemeine Wut beinahe körperlich spüren; wie Säure fraß sie sich in seine Haut.
Doch da war noch mehr als nur Zorn im Spiel. Da war … Furcht.
Nein, dachte er. ›Furcht‹ ist nicht das richtige Wort. Die gehört auch dazu, aber dahinter steckt noch etwas anderes. Diese Menschen hier wissen, dass hier mehr vor sich geht als nur die üblichen Machtspielchen zwischen rivalisierenden Prinzen – und nun wenden sie sich schutzsuchend an die Kirche.
Als die Musik sich plötzlich änderte, vertrieb das diesen Gedanken, und Merlin wandte den Kopf herum, als die Tür der Kathedrale weit geöffnet wurde. Ein Altardiener trat hindurch, in den Händen hielt er einen langen, nachtschwarzen Stab aus Eisenholz, der von gravierten Silberringen geziert wurde. Auf seiner Spitze ragte das goldene Szepter Langhornes empor. Zu beiden Seiten flankierten ihn Kerzenträger, und zwei Unterpriester folgten ihm, in den Händen Weihrauchfässer, aus denen feine Rauchschwaden aufstiegen: weiße, verwehende Fäden im Schein der bunten Fenster.
Hinter den Unterpriestern kam der gewaltige Chor in seinen grünen Soutanen mit den weißen Chorhemden. Als die ersten Reihen durch das offene Portal schritten, hob der gesamte Chor zu singen an, und so sehr Merlin all das verabscheute, wofür die Kirche des Verheißenen stand, so sehr
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