Operation Arche - 1
Dieses Mal war es ein sonderbar zärtliches Lächeln.
»Ich schätze, man könnte sogar behaupten, dass du in Wirklichkeit gar nicht existierst. Du bist schließlich nur ein Elektronikmuster im Inneren einer Maschine, keine echte Person. Aber du bist das Elektronikmuster einer wahrhaft bemerkenswerten jungen Frau, die gekannt zu haben mir eine große Ehre war, und ich glaube, dass du, in jeder Hinsicht, die wirklich etwas zählt, sehr wohl genau diese junge Frau bist. Und doch bist du zugleich auch etwas anderes, oder jemand anderes, und dieser ›andere‹ hat das Recht, mit der Zeit und den Geräten, die wir ihm zur Verfügung gestellt haben, all das zu tun, was er für richtig hält. Wofür auch immer du dich entscheiden magst, die Entscheidung muss ganz alleine bei dir liegen. Und wie auch immer du dich entscheiden magst, Folgendes solltest du wissen: Shan-wei und ich haben Nimue Alban wirklich sehr geliebt. Wir haben das Andenken an sie sechzig Jahre lang bewahrt, und wir sind sehr zufrieden damit, dass die letztendliche Entscheidung in deiner Hand liegt. Wie auch immer du dich entscheidest, was auch immer du tust, wir lieben dich immer noch. Und jetzt, wie du es einmal zu mir gesagt hast, Nimue: Gott segne dich. Leb wohl!«
Mai, im Jahr Gottes 890
.I.
Der Tempel Gottes, Stadt Zion, Die Tempel-Lande Leichthin streckte sich der Säulengang des Tempels Gottes dem frühlingsblauen Nordhimmel entgegen. Die Säulen waren mehr als sechzig Fuß hoch, und die Kuppel des Tempels, die den ganzen Bau dominierte, ragte noch höher auf – fast einhundertfünfzig Fuß. Wie ein riesiger, polierter Spiegel glänzte sie in der Sonne, silberplattiert und gekrönt mit dem juwelenbesetzten Abbild des Erzengels Langhorne aus purem Gold: Unter einem Arm hielt er Gesetzestafeln, mit der Hand des anderen Arms streckte er das Zepter seiner heiligen Autorität hoch in die Luft. Allein dieses Abbild war ganze achtzehn Fuß hoch, und im Licht der Morgensonne schimmerte es sogar noch heller als selbst die Kuppel des Tempels. Seit mehr als acht Jahrhunderten, seit dem Morgen der Schöpfung selbst, wachte dieser atemberaubend schöne Erzengel über Safehold, und sein Abbild und die Kuppel, auf der es ruhte, glänzten immer noch hell, waren immer noch so unberührt von Wetter und Zeit, wie an dem Tag, da sie errichtet worden waren.
Der Tempel stand auf einem smaragdgrünen Hügel, der ihn noch weiter zu Gottes Eigenem Himmel hinaufragen ließ. Seine schimmernde Kuppel war aus vielen Meilen Entfernung zu sehen, über das Wasser des Pei-Sees hinweg, und wie eine goldbesetzte Alabasterkrone glitzerte er über der großen Stadt Zion am See. Es war in mehr als einer Hinsicht wahrlich die Krone der Stadt, denn diese Stadt selbst – sie gehörte zu den sechs größten Städten von ganz Safehold und war bei Weitem die älteste – existierte nur zu einem einzigen Zweck: der Kirche des Verheißenen zu Diensten zu sein.
Langsam schlenderte Erayk Dynnys, der Erzbischof von Charis, über den gewaltigen Platz der Märtyrer auf den Tempel zu, der ganz von zahllosen Springbrunnen beherrscht wurde: Fontänen tanzten zu den Füßen der heroischen Skulpturen von Langhorne, Bédard und den anderen Erzengeln, sprühten dem leichten Wind einen feuchten, erfrischenden Hauch entgegen. Der Erzbischof trug die weiße Soutane des Bistums, dazu den priesterlichen Dreispitz mit der weißen Kokarde und dem orangefarbenen Schwalbenschwanz, der ihn als Erzbischof auszeichnete. Der Duft des Frühlings wehte von den Blumenbeeten und den blühenden Sträuchern des Tempelgartens herüber, den Gärtner stets makellos hielten, doch der Erzbischof bemerkte es kaum. Die Wunder des Tempels gehörten zu seiner alltäglichen Welt, und die mondäneren Aspekte eben dieser Welt drängten all jene Besonderheiten nur zu oft in den Hintergrund.
»Also«, sagte er zu dem jungen Mann, der ihn begleitete, »ich gehe davon aus, dass wir immer noch nicht die Dokumente von Breygart erhalten haben?«
»Nein, Eure Eminenz«, gab Pater Mahtaio Broun fügsam zurück. Anders als der Dreispitz seines Patrons, war an der Kopfbedeckung dieses Geistlichen nur die braune Kokarde eines Oberpriesters befestigt, doch die weiße Krone, die den rechten Ärmel seiner Kokarde zierte, wies ihn als den Privatsekretär und Gehilfen eines Erzbischofs aus.
»Eine Schande«, murmelte Dynnys, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Dennoch bin ich mir sicher, Zherald hat sowohl ihn als auch Haarahld davon
Weitere Kostenlose Bücher