Operation Beirut
bestraft, die sich nicht daran halten.»
«Schade», sagte Rogers.
«Schade, aber unvermeidlich. Das ist eben der Lebenszyklus von Bürokratien. Geschmeidig in der Jugend. Steif in mittleren Jahren. Schwach und hinfällig im Alter. Organisationen sind da wie jede andere Art von Lebewesen. Ihr stärkster Instinkt ist der, zu überleben und sich fortzupflanzen. Vielleicht sind die Probleme in einer Geheimorganisation wie der unseren größer, weil unsere bürokratische Kultur von der Außenwelt abgeschlossen ist. Aber im Grunde unterscheiden sie sich nicht.»
«Was schlagen Sie vor?», fragte Rogers.
«Risiken einzugehen. Sich gegen den Wind zu lehnen», sagte Stone. «Auf die richtigen Ratschläge hören und die falschen ignorieren.»
«Wie erkennt man den Unterschied?»
«Lassen Sie uns das Dessert bestellen. Was meinen Sie?», sagte Stone.
Nachdem das Gedeck für den Nachtisch abgeräumt war, kam Stone endlich auf das Geschäftliche zu sprechen. Er führte Rogers in eine Art kleines Séparée im dritten Stock, bestellte beim Kellner zwei Weinbrand und schloss die Tür. Er bot Rogers eine Zigarre an – eine Cohiba, Castros Hausmarke, aus Kuba eingeschmuggelt – und zündete sich selbst eine an. Das war das Signal, dass nun der ernste Teil des Abends beginnen würde.
«Ich sehe in Ihnen den fähigsten Falloffizier, den wir im Nahen Osten gegenwärtig haben», begann Stone aufrichtig. «Ich sehe in Ihnen außerdem einen verwandten Geist und ein Beispiel dafür, was an unserem Geschäft das Beste ist. Aus diesen Gründen liegt mir sehr viel daran, dass Sie mit Ihrer augenblicklichen Operation Erfolg haben.
Der Ablauf der Aktion, wie Sie ihn vorschlagen, ist unorthodox, wie uns unser Freund, Mr.Marsh, heute Vormittag mit so großem Aufwand erklärt hat.»
Stone hob seine Augenbrauen leicht, als er den Namen aussprach, als wollte er damit sagen, dass auch er seinen Operationsoffizier zuweilen für einen Esel hielt.
«Ohne jetzt Marshs Schlussfolgerungen bekräftigen zu wollen, halte ich es für wichtig, dass Sie verstehen, warum er so eindringlich über Kontrolle gesprochen hat. Er hat da recht. Kontrolle ist die Seele all dessen, was wir tun. Vielleicht haben Sie die Passage aus
King Lear
im Kopf, in der Edgar bemerkt, dass ‹Reifsein alles ist›?»
Rogers nickte bejahend.
«Nun, in unserem Geschäft, könnten wir ganz gut sagen: ‹Kontrolle ist alles.› Kontrolle über uns selbst und über andere.»
«Lassen Sie mich Ihnen eine kurze Geschichte erzählen, um zu verdeutlichen, was ich sagen will. Sie handelt von Commander Mansfield Cumming, einem unserer illustren Vorfahren im britischen SIS , der als Erster das Amt eines ‹C› übernahm. Man sieht ihn heute als einen Exzentriker, einen überspannten Kerl, der seine Korrespondenz in grüner Tinte signierte und geistesabwesend auf sein Holzbein trommelte.»
«Sein Holzbein?»
Stone nickte und fuhr fort.
«‹C› hat kaum einem je erzählt, wie er sein Bein verloren hat, aber einer seiner Freunde erzählte die Geschichte Jahre nach Cummings Tod in seinen Memoiren. Eines Tages, 1915 in Frankreich, fuhren der Alte und sein Sohn in der Gegend spazieren. Ihr Auto prallte gegen einen Baum und überschlug sich; der Sohn wurde tödlich verletzt, und ‹C›s Bein wurde eingeklemmt. Der Vater hörte die Hilferufe seines Sohnes, aber er konnte sich nicht aus dem Wrack des Wagens befreien. In seiner Verzweiflung nahm er sein Taschenmesser heraus und hackte auf sein Bein ein – sein eigenes Bein! –, bis er es völlig abgetrennt hatte.»
«Mit seinem Messer?»
«Mit seinem Taschenmesser. Dann kümmerte er sich um seinen sterbenden Sohn.»
Rogers atmete tief durch. Stone nahm einen Schluck aus seinem Weinbrandschwenker.
«Ich denke an dieses bemerkenswerte Beispiel für Tapferkeit und Selbstdisziplin, wann immer ich über die Bedeutung der Kontrolle in Nachrichtenoperationen nachdenke. Wir müssen uns selbst unter Kontrolle haben – und im höchstmöglichen Maße auch unsere Agenten –, ebenso absolut und kaltblütig wie ‹C› an jenem Tag.»
Stone leerte sein Glas Weinbrand und klingelte nach einer weiteren Runde. Als diese kam, schloss er sorgfältig die Tür und machte es sich wieder in seinem Sessel bequem. Er wandte sich der nächsten Phase seiner Argumentation zu, so methodisch, als drehte er eine Karte beim Blackjack um.
«Kontrolle ist allerdings nicht die einzige Tugend», sagte Stone mit einem Lächeln. «Verlässlichkeit ist
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