Operation Blackmail
kiesbedeckten Parkplatz des
Schlosshotels und wartete auf die Ankunft des Vorstandsvorsitzenden der
EuroBank, den Funkverkehr des Secret Service auf dem einen und den der ECSB auf
dem anderen Ohr. Sie hatte den Ton leise stellen müssen, da ihr insbesondere
der Secret Service mit seinen ständigen Statusmeldungen auf die Nerven ging.
Sie verwendeten ein undurchdringliches Dickicht aus Abkürzungen, die sich
keinem AuÃenstehenden auf Anhieb erschlossen, obwohl sie gut Englisch sprach:
»COLD is airborne heading 225.« Beispielsweise. »COLD« tauchte häufiger auf,
und ein Beamter hatte ihr hinter vorgehaltener Hand erklärt, dass es sich um
ihr internes Rufzeichen für Hillary Clinton handelte. Die Ãbersetzung lautete
also: »Hillary Clinton ist in der Luft und fliegt gen Nordosten.« Lachend hatte
er hinzugefügt, es gäbe seit Jahren das Gerücht, »COLD« stünde für »Cigar, or
Lewinsky dead«. Angeblich soll Hillary genau das von ihrem Mann nach seiner
Affäre mit der Praktikantin gefordert haben: Entweder, du bleibst für die
Ãffentlichkeit bei der absurden Zigarren-Geschichte, oder ich mache sie fertig.
Laut den Angaben des Agenten hatte sich die Clinton allerdings sehr über ihren
Rufnamen gefreut. Sie ging davon aus, dass er sich auf ihre unnachgiebige Art
bezog. Solveigh hatte gelacht. Sie konnte sich die Erklärung mit der Zigarre
gut vorstellen. So wie sie Männer in derartigen Situationen kennengelernt
hatte, blieb es â wenn es denn schon einmal so weit war, sich gegenseitig die
Geschlechtsteile vorzuführen â kaum bei so einer abstrusen Fummelei. Und dass
sich die Beamten vom Secret Service einen ebenso »secret« Witz daraus machten,
entsprach ganz dem Naturell der Beamten, die sie während der letzten Tage gut
kennengelernt hatte. Sie waren professionell, aber nicht verkrampft. Sie erinnerten
sie von allen Behörden, mit denen sie bisher zusammengearbeitet hatte, am
ehesten an die ECSB mit ihrer Kompromisslosigkeit und ihrem an Arroganz
grenzenden Selbstbewusstsein. »Absolute Qualität erfordert absolutes Vertrauen
â gerade in seine persönlichen Fähigkeiten«, pflegte Thater zu referieren.
Gepaart mit einer gehörigen Portion Paranoia vor dem eigenen Scheitern. Ja,
Parallelen gab es einige zwischen der Behörde, die den amerikanischen Präsidenten
beschützte, und der einzigen paneuropäischen Polizei, die diesen Namen
verdiente. »Keine Kompromisse«, das inoffizielle vom Chef selbst gern zitierte
Motto der ECSB, kam ihr in den Sinn. Es war auch jetzt notwendig, dachte sie,
als die Limousine mit ihrem Gast eintraf und sie auf den Wagenschlag zuging, um
ihn zu begrüÃen.
»Agent Lang, ich freue mich«, sagte Heinkel, als er aus dem Auto
stieg. Er blickte ihr direkt in die Augen und reichte ihr die Hand, lächelte.
Seine Freundlichkeit war echt, nicht gespielt. Mit ihrem Auftritt in Frankfurt
hatte sie sich seinen Respekt verdient, das konnte sie deutlich spüren.
Vielleicht auch mit ihren Berichten aus dem Bayerischen Wald, aber sie
vermutete, dass Heinkel seinem eigenen Urteil mehr Gewicht gab als
irgendwelchen Akten. Ihr konnte es nur recht sein, es war wichtig, dass er ihr
vertraute, ihr, die ab jetzt für seine Sicherheit verantwortlich war. Ihr, die
sein Vertrauen schon am ersten Tag missbrauchen musste. Sie erinnerte sich an
ihre Anweisung gegenüber dem Leiter der Scharfschützentruppe, mit der sie
Heinkels Leben an einen seidenen Faden knüpfte. Keine Kompromisse, dachte
Solveigh mit einem bitteren Nachgeschmack auf der Zunge.
Sie geleitete ihn, seine persönlichen Bodyguards im Schlepptau, in
die Lobby, wo ihn der Hoteldirektor mit Handschlag im Schlosshotel begrüsste.
Er würde heute noch viele Hände schütteln müssen, wenn er das wirklich bei
jedem machen wollte. Den Hausfotografen hatte eine Beauftragte Kissingers
»beurlaubt«, es würde keine Memorabilia von diesem Treffen geben, ganz in der
Tradition der Bilderberg-Gruppe. Hier waren sie wirklich unter sich, die
Reichen und Mächtigen. Und wer konnte schon mit Gewissheit sagen, ob hinter der
bescheidenen Formulierung »Es geht hier nur um ein paar private Gespräche«
nicht vielleicht doch eine Art geheime Weltregierung steckte, die knallharte
Entscheidungen über unser aller Zukunft traf. Vielleicht sogar zu unser aller
Wohl, aber sicher nicht demokratisch legitimiert.
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