Operation Blackmail
Und das ist wohl das
Kernproblem dieser ganzen Veranstaltung, sinnierte Solveigh Lang, während sie
Heinkel zu seinem Zimmer eskortierte. Die steinernen Flure des Schlosses, das
Fürstbischof Sigmund I. von Gleink-Volkenstorf 1461 hatte errichten lassen, um
es für die Jagd zu nutzen, waren heute mit dicken Teppichen ausgelegt. Amerikanische
Komfortkategorien vor der Kulisse echter europäischer Geschichte. Trotz der
jahrhundertealten Steinmauern war es wohlig-warm. Bedachte man den dafür
notwendigen Energieverbrauch, hatte diese Bilderberg-Konferenz zumindest in
ihrer CO 2 -Bilanz ein negatives Ergebnis. Vielleicht blieb dieses
Hotel der exklusivsten aller Kategorien deshalb über Winter geschlossen â der
Grund, weshalb man es für das diesjährige Treffen der Bilderberg-Gruppe
ausgewählt hatte: Es war alles andere als simpel, ein Hotel zu finden, das man
komplett mieten konnte, denn selbstverständlich waren fremde Gäste auf dem
Anwesen unerwünscht. AuÃerdem brauchte die Konferenz mit ihren über 130
Teilnehmern aus aller Herren Länder sowieso alle Zimmer des Haupthauses.
Solveigh und ihr Team waren daher in einem Sechsbettzimmer im Nebenflügel
untergebracht, wofür wohl Hotelpersonal hatte weichen müssen. Ihr war es
gleichgültig, denn sie schätzte, dass sie in den nächsten Tagen ohnehin kaum
Schlaf finden würde. Bis die Konferenz vorbei war, blieben ihr nur die Zeiten,
während der die Bilderberg-Konferenz in einem abgeschirmten Raum tagte, was für
jeweils vier Stunden am Tag plus Abendessen der Fall war. Die restliche Zeit
war für persönliche Gespräche reserviert, denen offensichtlich eine groÃe
Bedeutung beigemessen wurde.
Sie standen vor Heinkels Suite, die eigentlich Henry Kissinger
beherbergt hätte. Einer der Leibwächter öffnete die Tür und lieà Solveigh und
Heinkel eintreten. Zwar tastete sie nach der Jericho in ihrem Schulterholster,
aber sie wusste genau, dass derzeit keine Gefahr drohte, einer der Männer hatte
die Suite nur Minuten zuvor peinlich genau untersucht. Im Moment drohte von
ganz anderer Seite Gefahr: von Heinkel, wenn sie ihm erzählte, was Thater ihr
kurz vor seiner Ankunft als seinen neuen Plan präsentiert hatte. Um dem
vorzubeugen, musste ihre einstudierte Ansprache her.
Heinkel trat auf wie Graf Koks, offensichtlich hatte er vergessen,
welche Gefahr auf ihn lauerte. Sie rückte sich einen Stuhl zurecht, nahm
einigermaÃen undamenhaft rittlings darauf Platz und kostete aus, dass sie heute
eine Hose zum Kostüm trug statt, wie sonst üblich, einen Rock. Sie wusste, dass
diese unterschwelligen Signale ihr helfen würden, von Heinkel mehr als Mann
denn als Frau wahrgenommen zu werden. Und gerade jetzt war es entscheidend,
dass er ihre Führungsrolle anerkannte, sie als seine temporäre Vorgesetzte
akzeptierte. Sie holte tief Luft und wollte zu ihrer Rede ansetzen, als sie
eine subtile aber deutlich spürbare Veränderung an Heinkels Verhalten wahrnahm.
Das Lächeln war nicht mehr so strahlend, er lockerte seinen Krawattenknoten und
knöpfte den obersten Knopf seines Hemds auf. Seine Schultern hingen um einen
Tick schlaffer als bei der BegrüÃung des Hoteldirektors. Er knickte nicht ein,
es machte ihr mehr den Anschein, als sei er von einer Sphäre hoch in den
Wolken, nahe der Sonne, auf den Boden der Tatsachen heruntergestiegen. Sie
wartete noch einen Moment, und tatsächlich machte er den Anfang.
»Frau Lang. Ich habe nur eine Frage, und ich erwarte von Ihnen nur
eines: eine ehrliche Antwort.«
Sie blickte mit ihren stahlgrauen Augen aufmerksam zu ihm hinüber
und nickte.
»Haben Sie die Sache im Griff?«
Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet. Sie war davon
ausgegangen, dass sie es war, die Heinkel davon überzeugen musste, die Gefahr
durch Leonid Mikanas ernst zu nehmen. Ihre Rede hatte vorgesehen, ihm Angst
einzujagen, damit er wachsam blieb, während er Hände schüttelte und Kanapees
von fremden Kellnern gereicht bekam. Sie brauchte einen Moment, um ihre Antwort
zu formulieren.
»Ehrlich gesagt: Ich weià es nicht.«
Sein gerader Blick signalisierte ihr dennoch Vertrauen, vielleicht
sogar noch etwas mehr als zuvor, als sie drauf und dran gewesen war, ihm die
Horrorvision darzulegen. Die Macht der Wahrheit â für diejenigen, die mit guter
Menschenkenntnis gesegnet sind, ist sie eine der gröÃten Kräfte der
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