Operation Blackmail
Miss«, versuchte er sie in seinem
makellosen Englisch aus Dexter, Maine, Russland, zu beruhigen. Ein weiterer
panischer Blick. Sie glaubte ihm nicht. Er nahm ihre Hand.
»Sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort«, erklärte ihr Leonid
und entnahm seiner Brusttasche eine kleine Ampulle mit einer durchsichtigen
Flüssigkeit. Auf der Suche nach einem passenden Getränk durchstöberte er die
Minibar und entschied sich schlieÃlich für ein Bitter Lemon. Er öffnete den
Kronkorken mit bloÃen Fingern und goss die Limonade in ein Glas, hinterher den
gesamten Inhalt der Ampulle. Dann streckte er ihr die Mischung entgegen: »Da,
trinken Sie das.«
Zitternd vor Angst nahm sie das Glas aus seiner Hand und verfolgte
ihn mit ihren dunkel geschminkten Augen. »Was ist das?«, keuchte sie.
Leonid antwortete mit ruhiger Stimme, um sie so gut es ging zu
besänftigen: »Es handelt sich um eine Substanz namens Gammahydroxybutyrat,
besser bekannt als K.-o.-Tropfen. Sie werden schlafen und sich danach an nichts
mehr erinnern. Deswegen müssen Sie es nehmen.«
»Ich möchte das nicht«, sagte sie mit einem osteuropäischen Akzent.
Nur ein Anflug davon, aber Leonid bemerkte ihn sofort. Wahrscheinlich Bulgarin,
vermutete er.
»Es tut mir leid, Miss, aber daran geht kein Weg vorbei. Und glauben
Sie mir, das, was ich gleich tun muss, möchten Sie nicht miterleben. Und ich
kann es auch nicht gestatten. Bitte trinken Sie jetzt, wir reden schon zu lange
miteinander.« Er blickte sie an. Diese Augen. Er versuchte, kalt und
unbarmherzig auszusehen. Als sie den Kopf senkte, wusste er instinktiv, dass
sie verstanden hatte. Sie hielt den Giftcocktail in beiden Händen und führte
ihn zum Mund. In einer kerzengeraden Haltung trank sie das Glas in einem Zug
bis zum letzten Schluck leer. Nachdem sie sich die Flüssigkeit einverleibt
hatte, saÃen sie sich noch eine Weile in dem Hotelzimmer gegenüber und schauten
sich an, bis sie schlieÃlich zusammensackte. Leonid deckte sie zu und machte
sich an die Arbeit, den bewusstlosen Araber ins Bad zu schaffen. Sie sollte
nicht neben seiner Leiche aufwachen am nächsten Morgen.
KAPITEL 44
München, Deutschland
Tag 10: Mittwoch, 16. Januar, 17:32 Uhr
In Mao Grubers Wohnung schallte ein munteres Adagio aus
Bachs Brandenburgischen Konzerten durch die hohen Altbauräume. Gerade räumte er
die Reste eines nicht sehr authentischen chinesischen Take-away-Gerichts in den
Mülleimer und schwang dabei die linke Hand im Takt. Er liebte klassische
europäische Musik, wahrscheinlich hatte er die Neigung von seiner Mutter
geerbt. Besonders Bach und Beethoven hatten es ihm angetan. Ihre Partituren
hatten etwas Perfektes, beinahe Mathematisches. Einen Moment lauschte er dem
Zusammenspiel von Flöte und Cembalo, eine in seinen Augen nie mehr erreichte
Harmonie. Nur noch einen kleinen Augenblick, dann kümmere ich mich wieder um
die ECSB und Solveigh Lang. Aus dem Moment wurde eine Viertelstunde, aber
schlieÃlich besann sich Mao auf seine wichtigeren Aufgaben und tappte hinüber
ins Arbeitszimmer, um sich dem GroÃen Vorsitzenden zuzuwenden. Der Rechner war
nicht komplett ausgeschaltet, er befand sich nur im sogenannten Schlafmodus,
und er brauchte nur kurz die Maus zu bewegen, schon begann der eigenhändig
zusammengeschraubte Supercomputer zu surren. Heute verzichtete er auf Kopfhörer
und lieà einfach die Musik aus dem Wohnzimmer weiterlaufen, die gerade von
einem munteren Allegro zu einem getrageneren Affettuoso wechselte. Mao klickte
per Fernbedienung weiter, woraufhin ein schnellerer Satz ertönte. Viel besser,
fand er. Zum Glück sind die Wände dieser Altbauten so dick, dass man auch
nachts laut Musik hören kann, freute sich Mao. Um die Jahrhundertwende wussten
sie noch, wie man anständig baut. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, um
festzustellen, dass Solveigh Lang wieder online war. Mittlerweile gierte er
nicht mehr nach jedem Kontakt, dies war auch vollkommen überflüssig. Wie sich
in den vergangenen Tagen herausgestellt hatte, handelte es sich bei der ECSB um
eine moderne Polizeitruppe, die online kommunizierte. Sie loggte sich
regelmäÃig ein, und der GroÃe Vorsitzende speicherte automatisch alle Daten,
die sie sendete und empfing. Mao scrollte durch das aktuelle Protokoll. Sie
schickte eine Menge Daten ans Hauptquartier, das, wie er mittlerweile
herausgefunden hatte, in Amsterdam
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