Operation Cyborg
in seinen Sitz. Sein Begleiter blieb ruhig, während er, den Oberkörper nach hinten gedreht, ihren Wagen rückwärts die Straße entlangfuhr. Sie hatten Glück, das ihnen niemand entgegen kam, denn diese schmale Gasse war eine Einbahnstraße. Der fünfte Schuß verfehlte sie. Schließlich erreichten sie eine Kreuzung und der Blonde bugsierte den Wagen gekonnt mit dem Heck voran in die Querstraße. Dann legte er unter lautem Knirschen den ersten Gang ein und gab Vollgas. Mit durchdrehenden Reifen machte der Wagen einen Satz nach vorne. Der sechste Schuß traf den Wagen am hinteren Fenster, so daß es splitternd zerbarst. Tom wurde von Glassplittern am Hals getroffen. Ein siebter Schuß fiel, verfehlte aber den Wagen, dann waren sie endlich aus der Schußlinie. Immer schneller beschleunigte der alte Colt und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit entfernten sie sich immer weiter von der mörderischen Bedrohung in Gestalt eines jungen Mädchens.
Als sie endlich dem Gewirr von Einbahnstraßen rund um die Universität entkommen waren, bog der Blonde auf eine Hauptstraße und fuhr in angemessener Geschwindigkeit weiter. Tom war total verwirrt. Das abklingende Adrenalin ließ das Blut in seinen Schläfen pulsieren. Er merkte, wie er Kopfschmerzen bekam. Die beiden Kratzer, die er durch die Splitter der Fensterscheibe abbekommen hatte, begannen zu brennen. Und er war immer noch völlig außer Atem und sog schnaufend Luft in die Lungen.
»Was ... was war das gerade eben?« stammelte er atemlos, aber bekam keine Antwort. »Ich fasse es nicht. Sie wollte mich umbringen.«
»Es. Nicht sie!«, brummte sein Begleiter, ohne seinen Blick von der Straße zu wenden.
»Es?« fragte Tom entgeistert. »Was soll das heißen? Und wer bist du überhaupt.«
»Magnus«, antwortete der Blonde und sah kurz zu ihm herüber.
Magnus? Tom hatte diesen Namen doch heute schon einmal gehört. Er runzelte die Stirn, aber er schaffte es nicht, sich zu konzentrieren.
»Pedersen. Magnus Pedersen«, präzisierte sein Chauffeur.
»Schön. Magnus Pedersen ist Ihr Name. Aber wer sind Sie?«
»Jemand, der dir den Arsch retten soll. Ich werde es dir später erklären. Nicht jetzt.«, sagte Magnus.
»Wohin fahren wir?«, wollte Tom wissen und begann, die beiden leicht bluteten Kratzer an seinem Nacken vorsichtig zu betasten.
»Erst einmal raus aus der Stadt, dann sehen wir weiter«, entgegnete Magnus knapp und verstummte. Es wirkte nicht so, als wollte er zusätzliche Erklärungen folgen lassen, also verzichtete Tom auf weitere Fragen. In den nächsten 10 Minuten saßen beide schweigend nebeneinander, während der Wagen auf einer Schnellstraße dahinraste. Langsam erholte Tom sich ein wenig von dem ganzen Schrecken. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Was war da gerade eben nur passiert? Er konnte sich keinen Reim auf das alles machen. Warum hatte das Mädchen ihn umbringen wollen? War sie etwa von den Russen beauftragt worden? Das konnte nicht sein. Er hatte schließlich das geliefert, was sie haben wollten. Und BKA oder BND hätten versucht, ihn festzunehmen, aber nicht ihn umzubringen. Oder etwa doch?
Für einen Moment dachte er an das Schicksal der bekannten Hacker Karl Koch und 'Tron'. Beide waren recht jung und unter mysteriösen Umständen gestorben – Selbstmord wie es offiziell hieß. Die Art und Weise ihres Ablebens hatte dennoch seit Jahren Verschwörungstheorien angeheizt. Und letztlich: wirklich geklärt war keiner der Fälle, zumindest nicht mit einer zufriedenstellenden Erklärung. Was, wenn es doch so eine Art Mordkommando gab, das Hacker tötete, wenn sie eine zu große Gefahr für Wirtschaft und Staat darstellten? Nein, rief sich Tom zur Räson, jetzt denke ich schon wie diese ganzen Wirrköpfe, die sich in Internetforen in ihren Verschwörungstheorien ergehen. Dieser Mordanschlag stand nicht in Zusammenhang mit seinen Hackeraktivitäten, entschied er. Aber Mordversuch blieb Mordversuch. Aus welchem Grund hatte es jemand auf sein Leben abgesehen?
Bedrückender aber noch als die Frage nach dem Warum, war die Frage nach dem Was und Wie. Was war da eben im 'Paperback' genau passiert und wie – zur Hölle – hatte die junge Frau, die ihn töten wollte, den Kugelhagel überlebt?
Dieses Mädchen, das er 'Jazz' getauft hatte, war definitiv von mehreren Kugeln getroffen worden. Sie trug keine kugelsichere Weste – nicht unter diesem knappen Top. Außerdem hatte er gesehen, daß sie blutete. Und dieser fürchterliche Kopftreffer!
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