Operation Glueckskeks
Zugchef, der sein frisch zusammengeleimtes Realschulenglisch an einem austobt und »Sänk ju for trewelling wiss Deutsche Bahn«
sagt. Das kann man doof finden, ich finde es gut. Es kommt genauso wackelig und hölzern daher, wie man sich einen ehemaligen Staatsbetrieb vorstellt. Und auch wenn das jetzt nach Klischee klingt: Man ist nicht nur unterwegs - man reist. Kühe gucken einen durch die Scheibe an. Wenn man mehr als 100 Milliliter Wasser mit an Bord gebracht hat, wird man nicht erschossen, und das Gepäck muss nicht gesprengt werden. Ich finde das beruhigend. Und man kommt an: nicht auf einem Segelflugplatz an den Grenzen von Mittelerde, sondern an einem Bahnhof, der da liegt, wo man hin will, mitten in der Stadt. Wer müde ist, bekommt einen Schlafwagenplatz statt Jetlag. Man kann sich im Tunnel küssen, es gibt eine Notbremse, und wenn man eine richtig alte Gurke von Zug erwischt hat, sogar Fenster, die man aufreißen kann.
Warum es nie TV-Werbung für Billigflieger gibt, in der man Passagiere sieht? Weil man total verschwitzte Leute zeigen müsste.
Das ist altmodisch, das ist elegant. Moderner ist nicht immer besser, schneller nicht unbedingt klüger. Der Zug fährt jetzt ab.
Silvestersüchtig: Aufwachen neben Mutter Beimer
W enn ich irgendwann mal über meine Taten Rechenschaft ablegen muss, wird ein Engel eine Liste ausrollen. Er wird mit blassem Finger auf das Wort »Silvester« tippen und fragen: »Musstest du all die Jahre diese bescheuerte Show abziehen?« Ich werde nicht viel zu meiner Verteidigung zu sagen haben. Falls ich einen mutigen Tag habe, werde ich erwidern: »Ich musste. Weil ich Silvester mag. Und das sind übrigens ein paar sehr schöne Flügel, darf ich mal anfassen?«
Ich bin einer von denen, die ab Oktober auf Partyeinladungen warten, aber keine verbindlich zusagen. Die stets hoffen, dass noch was Besseres reinkommt. Und mit dieser Last-Minute-Masche sich selbst und alle Freunde in die Psychose treiben. Das Prinzip Hoffnung knebelt meinen Anstand. Man könnte mir am 12. Dezember anbieten, an Silvester an einer von Veuve Clicquot gesponserten Zeppelin-Tour mit den Rolling Stones zum Mount Everest teilzunehmen. Ich würde antworten: »Sagen Sie Mick Jagger, dass ich darüber nachdenke.« Könnte ja sein, dass Elvis noch anruft.
Silvester ist die kleine, aufregende Schwester von Weihnachten. Nur eine Woche später geboren, und was für ein Unterschied!
Weihrauch hier, Eau de Toilette da. Familiengedröhne hier, die Freunde da. Während Weihnachten die kratzpullihafte Gemütlichkeit von Mutter Beimer verbreitet, nimmt Silvester mit einem kokett zugekniffenen Auge noch einen Schluck aus dem Flachmann. Bräuchte Silvester eine Schutzpatronin, wäre es Amy Winehouse. Gestatten? Silvester. Betrunken, genial, hicks, out of control . Vorsicht, Rakete. Alle haben an diesem Tag Geburtstag, man darf Nachbarn umarmen, Kinder belügen (»Geh schon mal schlafen, wir wecken dich um zwölf zum Feuerwerk«), die Boxen der Stereoanlage zuschanden reiten. Silvester, du bist die Mutter aller Partys.
Sie merken schon, die Erwartungshaltung liegt irgendwo in der Stratosphäre. Werde ich wieder nur am Raclette-Grill landen und beim Bleigießen etwas vor mir haben, das aussieht wie ein Popel aus Metall? Oder endlich einmal wieder im Stroboskop-Blitzlicht und ohne Schuhe »In the Navy« mitjohlen, auch wenn der Song schon seit drei Minuten vorbei ist?
Hätte Silvester eine Schutzpatronin, wäre es Amy Winehouse. Betrunken, genial und out of control .
Ich will kein »gemütliches Abendessen«, das eigentlich nur ein schlecht getarnter dritter Weihnachtsfeiertag plus Tischfeuerwerk ist. Ich will eine Orgie. Wer mit Amy Winehouse anbandeln könnte, will nicht neben Mutter Beimer aufwachen. Warum all dieser Stress? Die Antwort ist einfach: Silvester-Junkies
wie ich sind tief in ihrer nervösen Seele abergläubisch: Nur eine gute Silvesterparty ist die Versicherungspolice für ein gutes Jahr. Und nur wenn das alte Jahr um Mitternacht in Leuchtkugeln und Böllern verglüht, die bis zum Pluto sichtbar sind und mit deren Gegenwert man Berlin schuldenfrei bekäme, hat das neue Jahr die Chance, ein gutes zu werden.
Gibt es eigentlich eine Bitte, die mich kälter lässt als »Brot statt Böller«? Seit mir übrigens mein italienischer Mitbewohner Paolo gesagt hat, dass auch das Tragen von roter Unterwäsche zu Silvester Glück bringt, würde ich eher ohne Schuhe ausgehen als ohne die richtige Unterhose.
Illu.
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