Operation Macho
fühlte Lynn sich unwohl, doch sie ging zum Hauptgebäude der Anlage und betrat die große Terrasse mit Blick auf den Oak Creek. Wie bei einem Straßencafé standen Sonnenschirme bei den kleinen Tischen, und der Sonnenschein tauchte die Terrasse in Halbschatten, schimmerte durch das dichte Laub der Bäume und ließ das Wasser des Bachs glitzern. Enten paddelten dort gegen die Strömung herum. Lynn wünschte sich, diese schöne Umgebung mit einem anderen Frühstückspartner genießen zu können.
Calvin hatte sich einen Tisch direkt am Geländer der Terrasse gesichert, sodass sie direkt auf den Bach blickten. Es standen zwei Gedecke auf dem Tisch und eine große Karaffe mit Eiswasser.
Sobald er Lynn sah, sprang Calvin auf und lächelte strahlend von einem Ohr zum anderen. „Da bist du ja endlich!“
Sie beschloss, auf sein Spiel einzugehen. „Ja!“, stieß sie genauso begeistert aus.
„Das ist toll!“
„Finde ich auch!“
„Lass uns essen!“
Sie musste lachen, als er ihr den Stuhl von Tisch zog, damit sie sich setzen konnte.
„Was ist denn so komisch?“
„Du bist der munterste Mensch, den ich kenne. Und dabei scheinst du noch nicht einmal einen Kaffee getrunken zu haben.“
„Darauf bin ich auch nicht angewiesen.“ Er packte ein frisches Kaugummi aus und steckte es in den Mund. „Willst du auch eines?“, fragte er und hielt ihr die Packung hin.
„Nein, danke.“ Lynn musste ein Lachen unterdrücken. „Entschuldige, dass du warten musstest.“
„Kein Problem!“ Er setzte sich wieder und zog die Manschetten seines Hemds aus den Jackettärmeln, sodass die goldenen Manschettenknöpfe in der Sonne blitzten. „Außerdem hat jemand von den Gästen mich erkannt, und da konnte ich gleich ein paar Visitenkarten verteilen.“ Er griff in sein Jackett und holte eine goldene Schachtel hervor, die er öffnete und Lynn hinhielt. „Nimm ein paar und verteil sie an deine Freunde.“
Sie betrachtete die verzierten Visitenkarten mit einem Farbfoto des strahlenden Calvins. „Entdecke deine Kräfte“, stand in goldener Schrift neben dem Foto, und darunter befanden sich seine Anschrift, die Telefon- und Faxnummer sowie die Internetadresse.
Aus Höflichkeit nahm Lynn sich eine der Karten. „Eine reicht, ich kann ja den Leuten sagen, wie sie dich …“
„Nein, nimm gleich mehrere! Du wirst überrascht sein, wie viele Menschen diese Nachricht brauchen.“
Gehorsam zog sie noch ein paar Karten heraus. „Du klingst wie einer dieser Prediger.“
„Von denen habe ich viel gelernt.“ Vollkommen ernst machte er die Schachtel wieder zu und verstaute sie in einer Seitentasche seines Jacketts.
„Wirklich?“
„Ja. Ich …“ Er blickte hoch, als der Kellner kam. „Wir hatten noch keine Gelegenheit, in die Karte zu sehen. Einen Moment, bitte.“
„Für mich nur Toast und Kaffee“, erklärte Lynn.
„Unsinn! Das ist die schüchterne, verunsicherte Lynn, die da redet. Aber in dir steckt ein Star, und der möchte Rührei mit Speck.“
„In mir steckt ein Mensch, der normalerweise gar nicht frühstückt. Den Toast nehme ich nur dir zuliebe. Calvin, du stehst hier nicht vor großem Publikum. Ich bin’s doch nur. Kannst du nicht normal mit mir reden? Tu mir doch den Gefallen.“
Seufzend schüttelte er den Kopf. „Du wehrst dich also weiterhin.“ Er sah den Kellner an. „Rührei, einen Crêpe mit Himbeeren, Orangensaft, Fruchtkompott und entkoffeinierten Kaffee für mich. Kaffee und Toast für die Lady.“
Sobald der Kellner fort war, beugte Calvin sich vor. Eindringlich sah er sie an, und sie registrierte, dass ihn eine Pfefferminzwolke umgab. „Ich versuche mich zurückzuhalten, aber es macht mir so viel Freude, diese wunderbare Nachricht Menschen wie dir mitzuteilen, dass ich …“
„Wie mich? Calvin, ich brauche keines deiner Seminare. Ich bin eine erfolgreiche Anwältin.“ Sie trank einen Schluck Wasser.
„Das hat nichts zu sagen, Lynn!“ Auch er trank einen Schluck Wasser.
„Ach, nein? Tut mir leid, ich dachte wirklich, Erfolg steigert das Selbstbewusstsein“, erwiderte sie spöttisch und stützte das Kinn auf die Hand.
Sofort stützte auch er das Kinn mit der Hand. „Du magst eine erfolgreiche Karriere haben, ein luxuriöses Apartment und ein teures Auto“, sagte er, „aber unter dem Mantel des Erfolgs fühlst du dich wertlos, Lynn!“
Von der Technik, das Gegenüber nachzuahmen, hatte sie schon gehört. „Wie kommst du darauf, dass ich mich wertlos fühle?“ Probeweise
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