Operation Overkill
gleichen Namen besorgt, der mit einem halbwegs passablen Foto von Richters Gesicht versehen war, bevor Juri sich daran zu schaffen gemacht hatte. Außerdem enthielt er den von Deacon angekündigten Brief an Sir James Auden, Britische 480
Botschaft, Paris, der mit dem Stempel »Persönlich, Streng Vertraulich« versehen und mit Wachs versiegelt war. Die für Richter bestimmte Kopie steckte in einem separaten Umschlag, der ebenfalls versiegelt war.
Richter unterschrieb die beiden Kreditkarten und steckte sie mitsamt dem Bargeld, 500 Pfund in Euro, in seine Brieftasche. Außerdem fand er einen von der Metropolitan Police ausgestellten und von einem hohen Gendarmerie-Offizier unterzeichneten Waffenschein, mit dem einem Mr. Beatty das Mitführen eines Smith & Wesson erlaubt wurde, sowie eine Zollbe-freiungsurkunde. Die FOE-Akte steckte in zwei versiegelten Umschlägen, einem großen und einem etwas kleineren, wie es obligatorisch war, wenn geheime Unterlagen aus einem sicheren Gebäude mitgenommen wurden. Richter würde sie erst öffnen, wenn er am Ziel seiner Reise war.
Er stieg aus dem Ford, blickte sich auf dem Parkplatz um und überzeugte sich davon, dass er nicht beobachtet wurde. Dann öffnete er den Kofferraum und warf den Rucksack hinein. Er holte einen dunkelblauen Blazer aus dem Koffer mit der Kleidung und tauschte ihn gegen die Lederjacke. Wegen des Schulterholsters musste er eine Jacke tragen, aber der Blazer passte eher zum Granada als eine Motorradjacke.
Richter ließ den Wagen an und fuhr zum Western Dock in Dover, wo er sein Ticket vorzeigte und zu der Schlange anderer Fahrzeuge dirigiert wurde, die ebenfalls auf die Fähre nach Calais wollten. Zwanzig Mi-481
nuten später war er an Bord des P&O-Schiffes und setzte sich in eine Ecke der Club-Class-Lounge.
Richter bestellte sich Kaffee und öffnete den Aktenkoffer. Er versicherte sich, dass er nicht beobachtet wurde, und las dann die Kopie des Empfehlungsschreibens an den britischen Botschafter in Paris. Er las sie zweimal und steckte sie dann in die Jackentasche. Unmittelbar vor dem Anlegen würde er aufs Klo gehen, sie in lauter kleine Fetzen zerreißen und hinun-terspülen. Das entsprach zwar nicht unbedingt den Vorschriften zum Vernichten eines geheimen Doku-ments, aber unter diesen Umständen war es angebracht.
Außerdem warf er einen Blick auf das Fax, mit dem die Buchung seiner Unterkunft bestätigt wurde. Er sah sofort, was Tony Deacon gemeint hatte. Die Buchhaltung hatte Richter für vier Nächte im Camp Davy Crockett untergebracht, einer Ferienwohnanlage beim Pariser Disneyland Europa. Die Notiz, die Simpson an das Fax geheftet hatte, verriet ihm allerdings, dass er diese Entscheidung gebilligt hatte, und dafür gab es einige Gründe.
Erstens war Disneyland über ein ausgezeichnetes Nahverkehrssystem – die RER – direkt mit dem Zentrum von Paris verbunden, wo nur ein Wahnsinniger oder ein Franzose Auto fuhr, sodass Richter mit der Bahn in weniger als einer Stunde zur britischen Botschaft gelangen konnte. Zweitens standen auf den Parkplätzen von Disneyland immer allerlei Autos aus sämtlichen Ländern Europas, sodass der Granada 482
weit weniger auffallen würde als in Paris. Drittens er-regte Richters zerschlagenes Gesicht in einer relativ abgeschiedenen Blockhütte im Wald nicht so viel Aufsehen wie in einem Nobelhotel. Und außerdem, dachte Richter, suchten ihn die Russen, die so gut wie überhaupt keinen Sinn für Humor hatten, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Disneyland.
Alles in allem war es vermutlich eine gute Wahl.
Downing Street Nr. 10, London
»Inwieweit sind Sie sich dessen gewiss?«, fragte der grauhaarige Mann. Es war das Erste, was er sagte, seit Simpson drei Minuten zuvor seinen Bericht beendet hatte.
Sir Michael Geraghty, der derzeitige »C« – Chef des Secret Intelligence Service – warf einen Blick zu Simpson, der links von ihm saß, vor dem Schreibtisch im Privatbüro des Premierministers. »Es ist als nachrichtendienstliche Erkenntnis erster Klasse ausgewiesen, Prime Minister«, erwiderte Simpson. Eine weitere Er-klärung war nicht nötig. Sämtliche britischen Premierminister müssen die Begriffe und Verfahrenswei-sen der britischen Nachrichtendienste kennen. Au-
ßerdem sitzt der Premierminister dem Overseas and Defence Committee vor, dem für die Geheimdienste zuständigen Kabinettsausschuss.
Der grauhaarige Mann nickte. Er schob seinen Stuhl zurück, stand vom Schreibtisch auf und ging zu den
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