Operation Overkill
Bezirk von London – zwei Geiseln. Die Bande war gut bewaffnet – sie hatten sogar Maschinenpistolen – und dachten nicht ans Aufgeben. Die Metropolitan Police –
die Londoner Stadtpolizei – ging von einer längeren Belagerung aus, in deren Verlauf möglicherweise beide Geiseln ums Leben kommen würden und ein Rie-senchaos entstünde. Aber noch ehe es zu einer größeren Aktion kam, ließ ein tüchtiger Polizeiführer gegenüber der BBC und der überregionalen Tagespresse durchsickern, dass man dem SAS die Einsatzleitung übertragen werde. Wissen Sie, was passiert ist, als sich die Nachricht verbreitete?«
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Bykow.
»Die Bande hat sich ergeben. Sofort und bedingungslos. Und wissen Sie, warum?«
Der Russe schüttelte den Kopf.
633
»Weil sie genau wussten, dass ihre Überlebens-chancen gleich null waren, wenn der SAS eingriff. Ein paar Jahre später, im April 1980, besetzten sechs Terroristen die iranische Botschaft in London. Als sie an-fingen, ihre Geiseln zu töten, stürmte der SAS unter den Augen von Pressevertretern aus der halben Welt das Gebäude. Als die Sache vorbei war, waren fünf der sechs Terroristen tot, und der sechste hatte nur überlebt, weil er sich als Geisel ausgab und erst hinterher identifiziert wurde, nachdem der SAS das Ge-bäude geräumt hatte. Ich will Ihnen damit klar machen«, fuhr Richter fort, »dass der SAS keine Gefangenen macht. Wir setzen ihn nur im äußersten Notfall ein, wenn nichts anderes übrig bleibt, als die Übeltäter über den Haufen zu schießen. Die ganze Ausbildung, die ganze Taktik dieser Truppe ist darauf ausgerichtet. Sie sind eindeutig ein Übeltäter, wenn man bedenkt, was Sie vorhatten. Im Vergleich mit Ihnen waren die Terroristen aus der iranischen Botschaft nur eine Horde ungezogener Schuljungen.« Richter hielt inne. »Nun, was glauben Sie eingedenk all dessen«, sagte er und deutete wieder auf Trooper Smith, »was er tun würde, wenn ich Sie aus diesem Bus schleife und ihm sage, dass er Sie erschießen soll?«
»Ich weiß es nicht.«
»Falsch«, entgegnete Richter. »Sie wissen es. Er würde Sie auf der Stelle erschießen, ohne jede Frage.
Einen Trost hätten Sie allerdings – es wäre ein schneller Tod. Der SAS schießt, um zu töten, nicht, um den Gegner kampfunfähig zu machen.«
634
»Damit kämen Sie niemals durch«, stieß Bykow hervor.
»Wieder falsch«, sagte Richter. »In meinem Bericht stünde, dass Trooper Smith sofort reagiert hat, um einen Vorgesetzten – das bin ich – vor einem russischen Terroristen – das sind Sie – zu schützen. Trooper Smith und ich wüssten zwar, dass es nicht ganz der Wahrheit entspricht, aber wenn Sie meinen, dass wir deswegen schlecht schlafen würden, irren Sie sich. In den Berichten unserer französischen Kollegen da drü-
ben« – Richter deutete auf eine Gruppe Gigènes, die neben Erulins Renault standen – »stünde das Gleiche, weil sie weder mich noch Trooper Smith verstehen können. Das ist der Haken dabei, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht.« Richter beugte sich vor und musterte ihn mit kaltem, hartem Blick. »Hier und jetzt«, sagte er leise, »sind wir das Gesetz. Alles, was ich tue, lässt sich rechtfertigen, da es im Vergleich mit dem, was Sie vorhatten, völlig unbedeutend ist. Bitte glauben Sie mir das, weil ich Ihnen nämlich gleich noch mal dieselbe Frage stellen werde wie vor zehn Minuten. Und wenn ich die gleiche Antwort bekomme, werden Sie in einer Holzkiste von hier abtransportiert. So viel steht fest.« Richter starrte ihn an, und Bykow wich seinem Blick aus. »Gut, Genosse Bykow, fangen wir noch mal von vorn an. Dürfte ich bitte Ihren vollen Namen erfahren?«
Der Russe schaute Richter wortlos an. Richter griff zu dem Pass und öffnete die beiden Hintertüren des Transit. Er stand bereits mit einem Fuß auf dem Bo-635
den, als der Russe antwortete. »Bykow«, sagte er mit einem leisen Seufzen. »Wiktor Grigorewitsch Bykow.«
Fünfzehn Minuten später half Richter Bykow, dessen Hände noch immer gefesselt waren, beim Aussteigen aus dem Transit und führte ihn zu dem steinernen Picknicktisch, wo Trooper Smith ihn bewachen würde.
Der ältere Russe stand auf, als sie näher kamen. Richter nickte ihm zu. »Nur ein paar Fragen, bitte.«
Als sie weggingen, sagte Bykow etwas – es war nur ein einziger Satz, aber Richter fuhr herum und schaute ihn an. »Es ist noch nicht vorüber, Mr. Beatty«, sagte er.
Kreml, Krasnaja
Weitere Kostenlose Bücher