Operation Overkill
Ploschtschad, Moskau
Lange bevor die nahenden Fahrzeuge zu sehen oder die Sirenen zu hören waren, hielt die Moskauer Ver-kehrspolizei sämtliche Autos an. Die Fahrzeugkolonne – zwei der großen, bei russischen Amtsträgern nach wie vor beliebten ZIL-Limousinen, begleitet von vier Polizisten auf BMW-Motorrädern – rauschte über den Teatralnyj Projesd und bog nach rechts auf den Maneschnaja Ploschtschad ab. Sie überquerte den Ploschtschad Rewoljuzii, fuhr an dem mächtigen vierzehn Stockwerke hohen Hotel Moskwa mit seiner Fas-sade aus rotem Granit und weißem Marmor vorbei und stieß auf den Krasnaja Ploschtschad – den Roten Platz. Auf der rechten Seite des leicht abschüssigen Platzes erstreckt sich die lange, rote Mauer des Kreml.
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Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ragt das riesige, im Zuckerbäckerstil errichtete Warenhaus GUM auf.
Die Kolonne fuhr durch den an der linken Seite der Kremlmauer gelegenen Erlöser-Torturm, den Haupteingang für Amts- und Würdenträger, in den Kreml.
Der Kreml ist eine Stadt für sich, ein achtundzwanzig Hektar umfassender Komplex hoch über der Moskwa.
Im Grunde genommen handelt es sich um eine Festung, die von einer bis zu neunzehn Meter hohen, nach Norden hin spitz zulaufenden und mit neunzehn Türmen bewehrten Mauer umgeben ist, durch die vier Tore führen. Im nördlichen Teil des Kreml stehen drei Gebäude. Das kleinste, im Osten gelegen, beherbergt das Kreml-Theater. Dahinter steht halb verdeckt die Residenz des Präsidenten der russischen Föderation.
Der dritte Gebäudekomplex mit dem so genannten Arsenal, ist zugleich auch der größte; ein lang ge-streckter, rechteckiger Bau an der westlichen Umfas-sungsmauer, von dem man auf den Alexandergarten blickt. Im südlichen Teil befindet sich die Staatliche Rüstkammer, ein berühmtes Museum, in dem allerhand alte Waffen, mit Juwelen besetzte Ikonen sowie kunstvolle Uhren und kostbarer Schmuck ausgestellt werden. Das nördlich daran angrenzende, nicht zur Besichtigung freigegebene Arsenal besteht aus massivem Mauerwerk, durch das kein Zugang zu den oberen Geschossen führt. Dorthin gelangt man nur durch ein hohes, schmiedeeisernes Tor zwischen der Residenz des Präsidenten und dem Arsenal.
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Das Arsenal bildet ein vier Stockwerke hohes Rechteck, das einen Innenhof umgibt. Im dritten Stock, etwa auf halber Höhe des östlichen Gebäude-teils, befindet sich der vor neugierigen Blicken ver-borgene Konferenzraum. Er ist fünfzehn Meter lang, acht Meter breit, mit schwerem Mobiliar ausgestattet und in einem überladenen Stil gehalten, der typisch für die meisten russischen Regierungsgebäude ist. In diesem Raum trifft sich jeden Donnerstagmorgen das Politbüro – eine handverlesene Gruppe von Männern, die an der Spitze des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei stehen und nach wie vor die eigentliche Macht in Russland innehaben – und bespricht an einem mit grünem Filztuch bespannten Tisch die Regierungsgeschäfte der Gemeinschaft unabhängiger Staaten mit ihren rund dreihundert Millionen Staatsbürgern. An den Konferenzraum grenzt das Walnusszimmer an, ein etwas intimerer Raum mit einem kleineren Tisch und bequemeren Sesseln, der für Besprechungen genutzt wird, wenn nicht alle Mitglieder des Politbüros anwesend sind.
Die Fahrzeugkolonne hielt am westlichen Ende der Residenz. Die Kradfahrer bildeten mit ihren Maschinen einen Kreis um die beiden Autos und warteten.
Auf das Zeichen eines Motorradfahrers hin sprangen die Fahrer der Limousinen aus den Wagen und rissen die Hintertüren auf. Drei Männer stiegen aus dem ersten ZIL, zwei aus dem zweiten. Alle fünf gingen mit forschen Schritten durch das Tor und verschwanden im Inneren des Arsenals.
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Fünfzehn Minuten später hielt ein schwarzer Mercedes vor dem Gebäude. Ein Mann stieg aus und ging durch das Tor.
Autoroute A26, bei Couvron-et-Aumencourt, Frankreich
Der ältere Russe folgte Richter kommentarlos zum Transit und setzte sich hin. Er wirkte eigenartig gut gelaunt, vor allem, wenn man bedachte, was er an diesem Nachmittag durchgemacht hatte. »Wir sollten uns zunächst einmal vorstellen«, sagte Richter. »Ich heiße Beatty und bin Agent im Dienste der britischen Regierung.«
Der Russe verzog den Mund zu einem leichten Lä-
cheln. »Sie scheinen viele Namen zu haben, Mr. Beatty«, erwiderte er. »Auch wenn Sie zurzeit etwas angeschlagen wirken, meine ich Sie von einem etwas un-scharfen Foto her zu kennen. Aber als es
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