Operation Overkill
allzu sehr übertrieben war, deshalb übernahm er anhand der Straßenkarte die Navigation, während Colin Decker fuhr.
Sämtliche Ortschaften, durch die der Konvoi rauschte, ob Léguevin, L’Isle-Jourdain, Gimont oder Aubiet, wirkten wie ausgestorben, wie das in Frankreich auf dem Lande nach sieben Uhr abends üblich ist. Die Türen waren verschlossen, die Jalousien heruntergezogen, nirgendwo brannte ein Licht. Auch war anders, weil es eine größere Stadt war; hier waren Menschen auf den Straßen, sah man Pärchen am Bür-gersteig. Dann hatten sie die Stadt hinter sich und waren wieder allein auf der Landstraße, fuhren durch Ortschaften, die St.-Jean-Poutge, Vic-Fézensac und Dému hießen, und dann ging es auf einer fast kerzen-geraden Straße nach Manciet.
»Laut dieser Karte«, murmelte Richter, während 825
Dekker Gas gab und den Renault auf gut hundertfünfzig Stundenkilometer hochjagte, »ist das hier eine land-schaftlich reizvolle Strecke, von der aus man einen herr-lichen Blick nach Süden hat, ins Tal der Douze.«
»Faszinierend«, erwiderte Dekker. »Wie weit ist es noch?«
»Noch etwa sechs Kilometer bis Manciet, danach noch zwei bis St. Médard. Acht Kilometer alles in allem, also ziemlich genau fünf Meilen.«
Fünfundfünfzig Minuten nach der Abfahrt vom Flughafen Blagnac, kurz vor ein Uhr morgens, huschte das Ortsschild von Manciet im Schein der Fernlichter vorbei. Unmittelbar danach bogen sie nach rechts auf die D931 ab, die in Richtung Norden führte, nach Eauze. St. Médard lag zwei Kilometer voraus.
Le Moulin au Pouchon, St. Médard, bei Manciet,
Midi-Pyrénées, Frankreich
Auch Hassan Abbas hatte seinen Computer nicht ausgeschaltet, da er ebenso wie Sadoun Khamil in Saudi-Arabien auf eine Entscheidung von al-Qaida wartete.
Bei Abbas gingen rund dreißig E-Mails am Tag ein, und seit er seine Nachricht nach Saudi-Arabien abgesetzt hatte, war er schon mindestens acht Mal in das Hinterzimmer gestürmt, sobald das Klingelzeichen er-tönte, das eine neue E-Mail ankündigte. Bislang hatte er alle gelöscht, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte.
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Die neunte Mail aber war anders, nicht nur, weil sie aus Deutschland stammte. Abbas überflog sie rasch und suchte nach einer verrutschten Textstelle. Er entdeckte sie etwa auf halber Länge, markierte und kopierte sie, dann ließ er das Entschlüsselungsprogramm laufen. Abbas beugte sich vor, als der Klartext am Bildschirm erschien, und gab gleichzeitig den Druckbefehl an den LaserJet von Hewlett-Packard ein.
Voller Genugtuung las er Sadoun Khamils Anweisungen und die beigefügte Mitteilung der Führung von al-Qaida. Danach las er die ganze E-Mail zur Sicherheit ein zweites und drittes Mal. »Allah sei ge-priesen«, murmelte er und stand auf.
Er nahm das Blatt aus dem Drucker und stieg die Treppe hinab ins Wohnzimmer, wo Jaafar Badri und Karim Ibrahim, zwei seiner drei Leibwächter, saßen und sich eine französische Fernsehshow anschauten.
Der dritte Bodyguard, Saadi Fouad, schlief im Ober-geschoss.
»Meine Freunde«, sagte Abbas, um einen Tonfall bemüht, der dem Gewicht seiner Mitteilung entsprach. »Heute Nacht werden wir den Ungläubigen einen Schlag versetzen, von dem sie sich nie wieder erholen werden. Unsere Führer haben mich angewiesen, El Sikkiyn unverzüglich in die Tat umzusetzen.
Innerhalb weniger Stunden werden Amerika und Russland in Schutt und Asche liegen. Allah sei geprie-sen.«
Abbas lächelte zufrieden, als seine Gefährten den Ruf wiederholten. Dann wandte er sich wieder der 827
Treppe zu, um sich der bevorstehenden Aufgabe zu widmen.
St. Médard, bei Manciet, Midi-Pyrénées, Frankreich
Le Moulin au Pouchon war nicht so leicht zu finden, was nicht zuletzt daran lag, dass es, so gut wie keine Straßennamen oder Hausnummern gab. Vermutlich ging man davon aus, dass sich die Einheimischen ohnehin auskannten und Touristen einfach einen Einheimischen fragen mussten, wenn sie nicht mehr wei-terwussten – tagsüber war das kein Problem, nach Mitternacht aber unmöglich.
Abdullah Mahmoud hatte seinem Antrag auf einen Telefonanschluss auch eine Wegbeschreibung beige-legt, die ihnen die France Télécom ebenfalls durchgegeben hatte, aber in der Dunkelheit waren die stillen Straßen kaum voneinander zu unterscheiden. Dennoch stießen Richter und Dekker schließlich auf eine schmale, kurvenreiche Straße, die den Berg hinaufführte. In der Ferne sahen sie ein einziges Licht, aber trotz der Nachtgläser
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