Operation Overkill
Frankreich
Ungehalten und nicht minder gereizt als Dimitri Truschenko tags zuvor blickte Hassan Abbas auf den Bildschirm des Computers. Das doppelte Computer-Icon auf der Task-Leiste unten rechts am Bildschirm war mit einem Mal verschwunden, die Verbindung mit dem Großrechner in Krutaja plötzlich unterbrochen. Das wunderte ihn nicht weiter, wusste er doch, dass es in Frankreich auf dem flachen Land häufiger zu Telefonstörungen kam, zumal ihm das mit der France Télécom schon mehrmals passiert war.
Er wählte über seinen Internet-Anschluss erneut 835
Wanadoo an und sah das Wählzeichen mitten am Bildschirm auftauchen. Er klickte »Verbinden« an. Im nächsten Moment erschien eine Statuszeile mit der Nachricht »Verbindung unterbrochen«. Abbas klickte
»Details« an und las die kurze Mitteilung: »Verbindung konnte nicht hergestellt werden.« Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er, und mit einem Mal fröstelte ihn. Dass die Verbindung mit Krutaja unterbrochen worden war, mochte noch angehen, aber anscheinend bekam er überhaupt keinen Anschluss mehr. Er griff zu dem Telefon, das neben dem Computer stand, und hielt den Hörer ans Ohr. Stille. Er drückte ein paar Mal auf die Gabel, vergebens.
Abbas war kein Dummkopf. Er stand auf und ging zur Treppe. »An die Waffen«, rief er nach unten.
»Möglicherweise werden wir jeden Moment angegriffen.« Er ging in das große Schlafzimmer, blieb einen Moment lang neben dem Bett stehen und rüttelte Fouad wach, dann stürmte er ans Fenster. Er öffnete es, schob die Jalousie ein Stück hoch, spähte in die Dunkelheit hinaus und lauschte. Nichts, nur die üblichen nächtlichen Laute in der Ferne.
Abbas zog die Jalousie wieder herunter und ging zum Treppenabsatz. Er konnte die Anspannung unten förmlich spüren, hörte, wie sich seine Männer leise murmelnd unterhielten, dazu das metallische Klicken, als sie ihre Waffen überprüften und durchluden.
»Licht aus«, rief er. »Alle bereitmachen.« Dann drehte er sich um und kehrte in das hintere Schlafzimmer zurück. Er nahm den ledernen Samsonite-836
Koffer, der den Laptop und das Mobiltelefon enthielt, öffnete ihn und überzeugte sich kurz davon, dass alles drin war. Dann schlug er den Koffer zu und ging aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich ab und steckte den Schlüssel ein.
St. Médard, bei Manciet, Midi-Pyrénées, Frankreich
»Das muss es sein«, murmelte Dekker. »Ja«, fügte er hinzu, während er das Nachtglas auf den Briefkasten am Straßenrand richtete. Die von Hand aufgemalten Buchstaben waren verblichen und verwittert und teilweise vom Gebüsch verdeckt, aber er konnte den letzten Teil von »Pouchon« erkennen.
Sie waren weiter der Straße gefolgt, die sich von der Ortschaft aus in etlichen Kurven bergauf in Richtung Nordosten zog, und waren jetzt gut anderthalb Kilometer außerhalb von St. Médard. Das klobige weiße Haus, das unmittelbar hinter einer Rechtskurve etwas abseits der Straße inmitten eines kleinen Gartens stand, war im fahlen Mondlicht deutlich zu erkennen.
Die getünchten Wände waren allem Anschein nach dick und aus Stein gemauert. Die Haustür wirkte alt und massiv, und was die Fenster anging, hatte Ross Recht gehabt – sie waren klein und viereckig, die Jalousien fest geschlossen.
Aber irgendetwas tat sich da drin. Schmale Licht-streifen drangen durch die Jalousien an den beiden Fenstern, die sich links der Tür im Erdgeschoss be-837
fanden. Im nächsten Moment wurde das Licht ausgeschaltet.
»Glaubt hier jemand, dass die gerade zu Bett gegangen sind?«, fragte Dekker.
»Nie und nimmer«, entgegnete Richter. »Sie haben die Verbindung zum russischen Rechner verloren, und inzwischen haben sie vermutlich gemerkt, dass auch der Telefonanschluss gekappt wurde. Wahrscheinlich hat dieser Dernowi, oder wer immer hier das Sagen hat, seinen Männern erklärt, dass sie sich auf einen Angriff gefasst machen sollen. So jedenfalls deute ich die Sache. Die sind mit Sicherheit wach und auf der Hut.«
»Richtig«, sagte Ross. »Mr. Beatty hat vermutlich Recht. Aber selbst wenn er sich irren sollte, müssen wir davon ausgehen, dass sie Bescheid wissen und uns erwarten. Normalerweise würden wir erst feststellen, wie viele Leute da drin sind und wo sie sich in etwa aufhalten. Das geht heute Nacht nicht. Ich dringe zwar nur ungern blindlings dort ein, aber unter diesen Umständen bleibt uns kaum was anderes übrig. Colin
– bist du anderer Meinung?«
»Nein. Uns bleibt gar nichts
Weitere Kostenlose Bücher