Operation Overkill
hinter der Mauer in Deckung, schob die Mündung seiner Kalaschnikow durch die Fensterhöhle und feuerte auf die alte Müh-le, bis das Magazin leer war.
»Aufhören«, schrie Abbas. »Feuer einstellen. Jetzt wissen sie, wo wir sind. Du kannst sie nicht treffen.
Außerdem brauche ich dich, damit du mir den Rü-
cken freihältst. Lade nach, bleib in Deckung und lass dich nicht sehen.«
Fast widerwillig ging Badri in die Hocke und schob ein neues Magazin in die Kalaschnikow. »Sollten wir uns nicht lieber absetzen?«, fragte er.
Abbas schüttelte den Kopf. »Nein. In der Dunkelheit würden sie uns jagen wie wilde Tiere. Sie haben Ibrahim mit einem einzigen Schuss getötet. Das heißt, dass sie Scharfschützengewehre mit Zielfernrohr und Restlichtverstärker haben. Wahrscheinlich haben sie auch Schnellfeuerwaffen und Granaten. Wir haben nur zwei Kalaschnikows und drei Pistolen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns hier zu verschanzen und die Stellung bis zum letzten Mann zu halten.« Badri nickte wortlos. »Vom Haus aus kommen sie auf direktem Weg nicht hierher«, fuhr Abbas fort. »Zu viel undurchdringliches Gestrüpp. Da sie jetzt wissen, wo wir sind, werden sie uns umgehen und von hinten an-rücken.« Abbas deutete auf den dunklen Berghang hinter dem Nebengebäude. »Geh rüber und halte Ausschau nach ihnen.«
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Abbas hatte die Lage richtig eingeschätzt und Ross und Deckers Absicht durchschaut. Die beiden hatten mit ihren Nachtgläsern das Terrain sondiert und waren übereingekommen, dass der Hang, der hinauf zu dem Nebengebäude führte, praktisch nicht passierbar war – jedenfalls nicht unbemerkt und ohne das Feuer des anderen Terroristen auf sich zu ziehen. Nur von hinten konnten sie zu dem Nebengebäude vorrücken.
Dekker, vier SAS-Männer und Richter huschten lautlos aus der Vordertür der alten Mühle und rannten auf der Straße rund zweihundert Meter bergaufwärts, schlugen sich dann durchs Gestrüpp und stiegen den Hang hinauf.
Hassan Abbas lehnte sich zurück, nahm die Finger vom Keyboard – zum ersten Mal seit Stunden, so jedenfalls kam es ihm vor – und saß einen Moment lang gedankenverloren da.
Als El Sikkiyn geplant worden war, hatte die Führung von al-Qaida darauf bestanden, dass sämtliche zweihundertunddrei Waffen auf amerikanischem Boden gleichzeitig gezündet werden müssten. Abbas und Sadoun Khamil hatten eingewandt, dass es ihrer Ansicht nach besser wäre, wenn man zunächst nur einen Großteil dieser Waffen hochgehen ließe und die anderen weiter in ihren geheimen Verstecken lagerte, damit man auch künftig über ein tödliches Bedro-hungspotenzial verfügte.
Doch bei al-Qaida war man der Meinung, dass man die Amerikaner nur dann dazu verleiten könnte, ihr 856
ganzes Kernwaffenarsenal auf Russland abzufeuern –
und das sei schließlich das eigentliche Ziel des Plans –, wenn ihr Land zuvor von einem gewaltigen atomaren Erstschlag erschüttert wurde, der allem Anschein nach von Russland ausging. Wenn nur ein paar Bomben explodierten, könnten die amerikanische und die russische Regierung womöglich einen nuklearen Schlagabtausch vermeiden. Möglicherweise einigte man sich auf eine Wiedergutmachung, auf Schadenersatz, vor allem, wenn die russische Regierung beweisen konnte, dass dieser Angriff nicht ihr Werk war. Das aber wollte man bei al-Qaida nicht. El Sikkiyn sollte dafür sorgen, dass sich Russland und Amerika gegenseitig vernichteten. Dazu aber bedurfte es eines massiven Schlages.
Und jetzt stand Hassan Abbas, der Urheber und Vollstrecker von El Sikkiyn , unter Zeitdruck. Seit er den Laptop angeschaltet hatte, war er nur mit dem Eingeben der Zündcodes beschäftigt gewesen. Zwei zwölfstellige Codes pro Bombe – vierundzwanzig Ziffern und Buchstaben insgesamt, für jede einzelne Waffe, daran führte kein Weg vorbei. Eine Sicherheitsvorkehrung, die die Russen eingebaut hatten, und Abbas hatte dagegen keine plausiblen Einwände geltend machen können.
Außerdem musste man vorher eingeben, ob nur ei-ne einzige, mehrere oder alle Waffen gezündet werden sollten. Abbas hatte »Total« angeklickt, aber bislang hatte er erst die Codes von zweiunddreißig der insgesamt zweihundertunddrei Waffen eingegeben.
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Und allmählich wurde ihm klar, dass er nicht alle Waffen aktivieren und die Zündsequenz auslösen konnte.
Jedenfalls nicht, bevor die Angreifer von hinten auf das Nebengebäude vorrückten und ihn töteten.
Abbas beugte sich wieder vor. Er hatte einen
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