Operation Overkill
wurde.
In der Kiste befand sich eine Kugel aus gehärtetem Stahl, die zwei unterkritische Massen aus angereicher-tem Uran enthielt, die mit herkömmlichem Sprengstoff umhüllt waren. Dieser innere Kern war von einem weiteren Mantel umgeben, in dem sich zweiunddreißig gezielt nach innen gerichtete Sprengsätze befanden. Wenn diese Sprengsätze in einer auf die Millisekunde genau vorausberechneten Reihenfolge gezündet wurden, entstanden Druckwellen, die auf die Sprengstoffhülle einwirkten, die das Uran umgab, worauf sie ebenfalls explodierte und das Uran zu einer kritischen Masse komprimierte. Genau eine drei-
ßigstel Sekunde später setzte die Kernspaltung ein und die Kettenreaktion begann.
Die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, hatte einen Wirkungsgrad von nur 1,4 Prozent. Aber die Waffenindustrie ist seit jeher zukunfts-orientiert und sucht ständig nach neuen Verbesse-861
rungsmöglichkeiten, und vor allem bei der Ummantelung und der mit konventionellen Sprengstoffen ausgelösten Zündung von Kernwaffen hat man seither große Fortschritte gemacht. Deshalb war die in Abilene stationierte Waffe zwar weitaus kleiner als Little Boy und Fat Man, die beiden Zwanzig-Kilotonnen-Bomben, die Hiroshima beziehungsweise Nagasaki verwüstet hatten, aber sie hatte fast die gleiche Sprengkraft. Jede Waffe, darauf hatte Dimitri Truschenko großen Wert gelegt, musste über genügend Sprengkraft verfügen, um das Zentrum der Stadt, in der sie in Stellung gebracht war, völlig zu vernichten.
Abilene, Texas, war eine kleine Stadt, und die Waffe, die hier stationiert war, war eine der schwächsten, die im Zuge von Operation Podstawa eingesetzt werden sollte.
Dennoch war die Wirkung verheerend. Das Bürogebäude verdampfte förmlich, und die Innenstadt wurde auf rund sechseinhalb Quadratkilometern dem Erdboden gleichgemacht. Binnen einer Sekunde kamen mehr als hundertzwanzigtausend Menschen ums Leben.
Eine halbe Sekunde nach der Zündung stieg die Temperatur im Epizentrum der Explosion auf mehrere Millionen Grad, und ein Feuerball entstand, der sich fast über die ganze Stadt ausbreitete und eine Unzahl weiterer Brände auslöste, die niemand mehr löschen konnte. Autos explodierten, Öltanks und Gas-leitungen fingen Feuer; dann griffen die Flammen auf das Industriegebiet über, in dem sich hauptsächlich 862
petrochemische Betriebe angesiedelt hatten, deren Tanks hochgingen und weitere Verwüstungen anrich-teten. Der Feuerball forderte vierzigtausend weitere Opfer.
Eine weitere halbe Sekunde später breitete sich die Druckwelle aus, walzte die wenigen noch stehen gebliebenen Gebäude nieder und schleuderte Fahrzeuge wie Menschen durch die Luft. Erst am Stadtrand ebb-te sie ab. Aber auch dort legte sie noch Häuser flach.
Rund sechzehntausend Menschen fielen der Druckwelle zum Opfer.
Dann wirbelten heiße Aufwinde den Staub und die Trümmer der zerstörten Stadt hoch in die Luft, wo sie die typische Pilzwolke bildeten.
Gleichzeitig wurden alle Menschen im Umkreis von drei Meilen, die die Hitze- und Druckwelle zunächst überlebt hatten, einem tödlichen Neutronenbeschuss und der bei der Explosion entstandenen harten Gam-mastrahlung ausgesetzt, an der sie über kurz oder lang sterben würden.
Selbst Menschen, die zum Zeitpunkt der Explosion etliche Meilen von Abilene entfernt gewesen waren, würden im Laufe der nächsten Wochen und Monaten an den Folgen des radioaktiven Niederschlags zugrunde gehen, dem so genannten Fallout – wenn die mik-roskopisch kleinen, mit Plutonium 239 und Strontium 90 angereicherten Trümmerteilchen, die bei der Detonation hochgerissen worden waren, auf die Erde zu-rückfielen. Insgesamt forderte die Bombe von Abilene rund einhundertneunzigtausend Menschenleben, 863
auch wenn sich die genaue Zahl nie ermitteln ließ, und der materielle Schaden war buchstäblich uner-messlich.
29
Freitag
St. Médard, bei Manciet, Midi-Pyrénées, Frankreich
Der SAS-Mann hatte sich bis auf zwanzig Meter an das Haus vorgearbeitet, ehe Jaafar Badri etwas hörte. Das lag zum einen daran, dass er sich nahezu lautlos bewegte, zum anderen am ständigen Krachen des ungedämpften Scharfschützengewehrs, das aus rund hundert Metern Entfernung eine Kugel nach der anderen auf das Gemäuer abgab. Badri hörte lediglich ein leises Rascheln, doch das genügte. Er duckte sich noch tiefer, schob die Mündung der Kalaschnikow vorsichtig um den geborstenen Türrahmen, starrte mit weit aufgeris-senen Augen in
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