Operation Overkill
SIS, MI5 oder CIA irgendetwas besprechen wollten.
Und deswegen saß Richter an diesem Nachmittag um zehn nach drei in der Lounge des Sherlock Holmes Hotel an der Baker Street und musterte über Kaffeekanne, Milchkrug, Zuckerschale, zwei Tassen und einen Teller mit Keksen hinweg die versonnene Miene von Piers Taylor. Richter hatte Taylor vor rund achtzehn Monaten kennen gelernt, und er wusste, dass dieser geistesabwesende Gesichtsausdruck nichts als Tarnung war. Taylor war vermutlich einer der schlau-esten Köpfe beim SIS, deshalb war er mit gerade mal achtunddreißig stellvertretender Leiter der Sektion neun, zuständig für Russland.
Taylor zupfte eine Fussel von seinem Jackenärmel, blickte sich in der Lounge um, in der sich lediglich eine Horde Amerikaner aufhielt, die sich lautstark über ihren Theaterbesuch am Vorabend ausließen, und beugte sich vor. »Es war eine reine Routinesache«, sagte er leise.
»Kommen Sie, Piers«, erwiderte Richter ebenso leise. »Der stellvertretende Leiter der Station Moskau 276
fährt doch nicht einfach aus Jux und Tollerei wegen ein paar Geschäftsleuten aus dem Westen quer durch halb Russland. Er war aus einem ganz bestimmten Grund dort.«
Taylor schüttelte den Kopf. »Nein, wir wissen, weshalb er dort war – Newman hat ihn hingeschickt. Aber der Auftrag war nicht weiter aufregend. Ich habe Payne am Montag einfliegen lassen, um ihm seinen neuen Vorgesetzten vorzustellen und ihm die aktuelle Lage zu erklären. Bei dieser Gelegenheit hat er mir von der Reise nach Sosnogorsk berichtet.«
»Was hat er Ihnen erzählt? Ich meine, Newman muss ihm doch zumindest andeutungsweise erklärt haben, weshalb er ihn dort hingeschickt hat.«
Taylor nickte. »Ja, das hat er auch getan. Newman sagte ihm, dass ihn jemand ansprechen würde, ein gewisser Karelin, Nikolai Karelin, jedenfalls sollte er sich unter diesem Namen vorstellen. Payne sollte ihm eine Nachricht zukommen lassen, nur ein Wort, und sich die Antwort notieren, wiederum nur ein Wort.«
Richter wartetet Manchmal war Taylor so zugeknöpft, dass man ihm jede Auskunft einzeln aus der Nase ziehen musste, was ebenso langwierig wie mühsam war. »Dürfte ich vielleicht erfahren, wie Paynes Nachricht lautete?«
»Ja, warum auch nicht. Sie lautete ›Schtschit‹. « Taylor schaute ihn an. »Wissen Sie, was das heißt?«
»Selbstverständlich weiß ich, was das heißt«, erwiderte Richter. »Auf Russisch heißt das ›Schild‹, aber auch die doppelt belichteten Filme, die der GRU gele-277
gentlich benutzt, werden so bezeichnet.« Er trank einen Schluck Kaffee und dachte einen Moment lang nach. Taylor schaute ihn schweigend an. »Ansonsten hat ihm Newman keine Anweisungen gegeben – auch nicht, was er machen soll, wenn dieser Karelin ihn nicht anspricht?«
»Nein. Er sollte ihm nur die Nachricht übermitteln und sich die Antwort notieren. Sonst nichts.«
»Hat sich dieser Karelin mit Payne in Verbindung gesetzt?«
»Ja.«
Als ob man auf Granit beißt, dachte Richter.
»Und?«, fragte er.
»Und was?«
»Wie lautete die Nachricht von diesem Nikolai Karelin?«
»Es waren zwei Worte, nicht nur eines, wie Newman angekündigt hatte – Stukatch und Tschernoschopy. «
Richter dachte einen Moment lang nach. »Schön«, sagte er. »Können Sie irgendetwas damit anfangen?
Ich nämlich nicht.«
»Ihr Russisch ist ein bisschen eingerostet, was?«, fragte Taylor lächelnd.
»Piers«, sagte Richter. »Ich kann es lesen und übersetzen und spreche es auch so gut, dass ich einigermaßen zurechtkomme, aber fließend kann ich es nicht und werde es vermutlich auch nie können.«
» ›Stukatch‹ ist russische Umgangssprache und heißt soviel wie ›Informant‹ oder ›Spitzel‹, und ›Tscherno-278
schopy‹ würde ich mit ›Schwarzärsche‹ übersetzen.
Das ist eine abfällige Bezeichnung für Farbige. Das einzig Interessante daran ist, dass sie meistens von Offizieren des GRU benutzt wird.« Richter öffnete den Mund, aber Taylor hob die Hand. »Bevor Sie fragen –
ja, wir haben sie überprüft. Wir haben beide Wörter durch unsere Computer laufen lassen. Stukatch war nicht aufgelistet, und Tschernoschopy fanden wir nur einmal als Codewort. Es war die Bezeichnung für eine abgebrochene Offensive der Roten Armee, als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg auf Moskau vorrückten. Wir sind uns so gut wie sicher, dass es ge-wählt wurde, weil es so gut wie nichts zu bedeuten hat, andererseits aber so ungewöhnlich ist, dass man
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