Operation Romanow
er Nina und Sergej als Druckmittel einsetzen wird.«
Lydia musterte ihn. Seine quälenden Sorgen und die Erschöpfung setzten ihm arg zu. Er stand kurz vor einem Zusammenbruch.
»Wir haben seit zwei Tagen nicht geschlafen. Du musst dich ausruhen, Juri.«
Er stand auf und nahm den Streckenplan in die Hand. »Ich kann jetzt nicht schlafen. Hol Pawel her.«
»Versprichst du mir dann, etwas zu schlafen?«
»Ja, aber zuerst muss ich mit Pawel sprechen.«
Lydia ging in das Schlafabteil und kehrte mit dem jungen Heizer zurück.
»Sind Sie und Ihr Vater Bolschewisten?«, fragte Andrew geradeheraus.
»Nein, Herr«, erwiderte der junge Mann nervös. »Wir haben bei der Eisenbahn gearbeitet. Kommissar Jakow hat uns für seinen Zug abkommandiert.«
Andrew winkte ihn zu sich heran. »Kommen Sie mit«, sagte er und fügte an Lydia gewandt hinzu: »Warte hier. Ich komme gleich zurück.«
Sie umfasste seinen Arm. »Was hast du vor?«
Er nahm Mersks Peitsche mit. »Jakow hat angeordnet, dass die Strecke bis Jekaterinburg frei sein muss. Ich sorge dafür, dass er den Befehl nicht rückgängig machen kann, um uns aufzuhalten.«
Gefolgt von Pawel kletterte Andrew über den Kohlenwagen in das Führerhaus der Lokomotive. Der Vater des jungen Mannes schaufelte eifrig Kohlen in das Feuerloch. Er war erleichtert, als er seinen Sohn sah.
»Hören Sie«, sagte Andrew zu ihm. »Sie haben beide mein Wort, dass Ihnen nichts zustößt, solange Sie tun, was ich sage. Sorgen Sie bitte dafür, dass der Zug fährt, bis wir in der Nähe von Jekaterinburg sind. Schaffen Sie das?«
Der Lokführer nickte. »Wir haben genug Kohle geladen. Das ist kein Problem. Es hängt nur davon ab, ob die Strecke frei ist.«
»Und wie lange dauert unsere Reise noch, wenn sie frei ist?«
»Vielleicht acht Stunden.«
Andrew zeigte auf den Streckenplan. »Ich lasse Sie beide in einer Stadt circa achtzig Kilometer von Jekaterinburg entfernt aus dem Zug. Sagen Sie, ich hätte Sie aus dem Zug geworfen. Dann bekommen Sie keine Schwierigkeiten.« Er starrte auf die Telegrafenmasten, die in der Dämmerung an ihnen vorbeirasten. »Jetzt seien Sie so nett und halten Sie den Zug an.«
»Warum?«
»Ich hab noch eine Kleinigkeit zu erledigen.«
Der Lokführer zog einen dicken Lederhandschuh an und regulierte einige Ventile und Schalter an der Kesselrückwand. Anschließend betätigte er behutsam die Druckluftbremsen. Dampf zischte, und die Lokomotive verlangsamte ihr Tempo, bis sie inmitten einer dicken Dampfwolke stehen blieb.
Andrew kletterte auf den Kohlenwagen. Von dort aus konnte er die Telegrafenleitung erreichen, die neben den Gleisen entlangführte. Er rollte die Peitsche ab und schlang sie um die Leitung. Dann zog er fest daran und band den Griff der Peitsche an eine Metallstange auf dem Kohlenwagen.
»Lösen Sie die Bremsen, und fahren Sie langsam weiter«, sagte er zu dem Lokführer.
Der Mann setzte den Zug langsam in Bewegung.
Die Peitsche spannte sich und zog an der Telegrafenleitung, bis schließlich ein lauter Knall ertönte und die Leitung zerriss. Beide Enden flogen durch die Luft, ehe ein Ende auf dem Kohlenwagen landete. Andrew nahm die Leitung in die Hand und befestigte sie an einem Handlauf an der Lokomotive.
»Fahren Sie schneller«, befahl er dem Lokführer.
Der Zug nahm Geschwindigkeit auf.
Andrew sah zu, wie die Leitungen nacheinander von den einzelnen Masten gerissen wurden.
Lydia goss Wasser aus einem Krug in das Waschbecken im Schlafabteil.
Andrew stand mit freiem Oberkörper davor und wusch sich die schwarzen Hände und sein Gesicht mit Seife. »So schnell kann Jakow den Schaden nicht beheben.«
»Wo ist Pawel?«
»Bei seinem Vater. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen uns nur im Notfall stören. Wir schlafen abwechselnd, aber halt die Waffe immer griffbereit.«
Lydia reichte ihm ein Handtuch. »Glaubst du, sie sorgen dafür, dass die Lokomotive nicht stehen bleibt?«
Andrew trocknete sich ab. »Was bleibt ihnen anderes übrig? Hier ist weit und breit kein Ort. Im Augenblick ist es hier bei uns für sie am sichersten, jedenfalls bis wir in der Nähe von Jekaterinburg sind. Es sei denn, ihnen steht der Sinn danach, sich durch die Wälder zu schlagen, wo sich Banditen und Wölfe herumtreiben.«
Lydia blickte Andrew ins Gesicht. Die Ringe unter seinen Augen waren noch dunkler geworden. Er sah furchtbar erschöpft aus. »Versprich mir, dass du versuchst zu schlafen. Jeder zwei Stunden. Du zuerst. Ich halte Wache.«
»Wenn du
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