Operation Romanow
führerlosen Zugs.
Einige Soldaten blickten irritiert aus den Fenstern. Sie kratzten sich am Kopf und fragten sich gerade, was das zu bedeuten hatte, als sie die Lokomotive und einen Wagen auf dem anderen Gleis fahren sahen.
»Jeden Moment wird einer begreifen, was los ist, und das Feuer eröffnen. Schließ sicherheitshalber die Fensterläden«, sagte Andrew zu Lydia.
Lydia schlug die stählernen Fensterläden zu.
Jakow zappelte wild auf dem Stuhl herum. Seine Augen traten hervor, und sein Gesicht war rot, als hätte er einen epileptischen Anfall.
»Hier trennen sich unsere Wege, Leonid.«
Nina bangte um ihren Sohn. Er atmete flach, seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, und sein Husten wurde von Minute zu Minute schlimmer.
Krank vor Sorge tupfte Nina Sergej den Schweiß von der Stirn.
»Mama, es tut so weh …«
»Ich weiß, mein Schatz. Wir bringen dich in ein Krankenhaus.«
»Es tut ganz schlimm weh, Mama.« Sergej wurde wieder von einem furchtbaren Reizhusten gequält, der seinen ganzen Körper erzittern ließ.
Für Nina war es unerträglich, ihren Sohn so leiden zu sehen. Mit einer Hand umklammerte sie Sergejs leblose Finger, und mit der anderen wusch sie in einer Schüssel mit kaltem Wasser ein Tuch aus, das sie auf seine fiebrige Stirn legte. »Alles wird gut, mein Schatz. Mama ist bei dir. Versuch zu schlafen, Sergej. Versuch zu …«
Für den Bruchteil einer Sekunde zog eine unerwartete Bewegung hinter dem Fenster Ninas Aufmerksamkeit auf sich, als ein Zug langsam an ihrem Wagen vorbei auf ein Nebengleis fuhr.
Sie wunderte sich darüber, achtete aber nicht weiter darauf, denn in diesem Augenblick bekam Sergej einen heftigen Hustenanfall. Nina sah zu ihrem Entsetzen, dass er Blut spuckte.
Sie unterdrückte einen Schrei und presste eine Hand auf ihren Mund, um ihren Sohn nicht zu erschrecken, doch dann sprang sie auf. Als sie von Panik erfasst die Tür aufriss, lief der Wachposten sofort auf sie zu und sah sie fragend an. »Holen Sie den Arzt! Bitte! Mein Sohn braucht dringend Hilfe …«
Jakow war noch immer an den Stuhl gefesselt. Andrew trat hinter ihn, packte die Stuhllehne und schleifte ihn durch das Schafabteil in den luxuriösen Teil des Wagens. An der Waggontür blieb er stehen. »Auf Wiedersehen, Leonid.«
Die Adern an Jakows Hals traten hervor, als er wild zappelnd unverständliche Worte in den Knebel murmelte.
Andrew löste den Knoten des Betttuchs, mit dem Jakow an den Stuhl gefesselt war, und warf es auf den Boden. Den Knebel und die Handfesseln entfernte er jedoch nicht. Er zog die Pistole, riss Jakow hoch, drehte ihn zur Tür und öffnete sie. Unter den Metallstufen rasten die Gleise vorbei.
»Gleich kommt der Tunnel. Beweg dich.« Andrew packte Jakow am Kragen. »Geh langsam rückwärts die Treppe hinunter, sonst verlierst du ein Bein, wenn du springst.«
Jakow bewegte sich nicht. Der Zug mit seinen Soldaten fuhr im Schritttempo über das Nebengleis. Einige Männer spähten neugierig aus den Fenstern, andere stellten sich draußen auf die Stufen. Sie hielten ihre Gewehre unschlüssig in den Händen und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Ungläubig starrten sie auf die Lokomotive, den Kohlenwagen und Jakows Waggon, die ohne sie weiterfuhren.
»Spring, ehe ich meine Meinung ändere!«, rief Andrew.
Die Lokomotive bebte und erhöhte ihre Geschwindigkeit.
Mit vorgehaltener Waffe zwang Andrew Jakow, die Stufen rückwärts hinunterzusteigen. Unter ihnen donnerten die Räder des Zugs über die Gleise. »Spring jetzt, ehe es zu spät ist!«
Andrew versetzte ihm einen Tritt mit dem Stiefel, doch sogar mit gefesselten Händen gelang es Jakow, sich festzuklammern. Der Knebel erstickte seine verzweifelten Rufe.
Der Zug wurde noch schneller und nahm nun richtig Fahrt auf. Jakow verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts in die Dunkelheit.
Fast im selben Augenblick begriffen Jakows Männer, was passiert war, und feuerten wütende Schüsse auf den Zug ab.
Andrew war gezwungen, in den Wagen zurückzutreten.
»Köpfe runter!«, schrie er Lydia und Pawel zu, als der Wagen von dem heftigen Kugelhagel getroffen wurde. Dann fuhr die Lokomotive in den Tunnel und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Jakow rollte über die Gleise, bis er gegen das harte Holz einer Eisenbahnschwelle stieß. Er stöhnte und rang nach Luft. Mühsam kam er auf die Beine, krümmte sich aber sofort, als er von einem Hustenanfall geschüttelt wurde und ihm Galle in der Kehle
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