Operation Romanow
wollte helfen, den Zaren zu retten. Den Mann, den sein Vater auf den Tod verabscheute.
Als Sorg Richtung Osten ging und die prachtvollen Straßen hinter sich ließ, gelangte er schließlich auf einen verlassenen gepflasterten Hof mit Stadthäusern aus Holz und Stein.
Diese Häuser wurden einst von einfachen Hofbediensteten bewohnt. Hier und da wiesen sie die Einschüsse des Bürgerkrieges auf. Einige waren zerstört und vernagelt.
Sorg sah einen großen, dicken Mann mit hängenden Schultern, der auf dem Bürgersteig vor einem der Stadthäuser Schnee wegfegte. Er trug einen Mantel mit Pelzkragen und Handschuhe. »Herr Carlson, Sie sind zurück. Immer fleißig, hoffe ich«, sagte er und ging auf Sorg zu.
»Ich versuche es. Und Sie, Herr Rawitsch?«
Der Hausbesitzer grinste schief. »In diesen Zeiten ist es schwer, Hilfe zu bekommen, Herr Carlson. Mein Hauswart hat mich im Stich gelassen und sich den Roten angeschlossen. Es könnte übrigens sein, dass die Stadt das Wasser eine Zeit lang abstellt, um Reparaturen durchzuführen.«
»Ich denke daran.«
Der Hausbesitzer, ein Mann mit schlechten Zähnen, einer langen, dünnen Nase und listigen Augen, war einst – wie er Sorg erzählt hatte – Offizier in der Marine des Zaren gewesen. Er prahlte stets damit, dass er vier Stadtvillen und profitable Geschäftshäuser in Sankt Petersburg besaß. Doch Sorg war der letzte Mieter in diesem Haus, und er wusste, dass Rawitsch Angst hatte, die Roten könnten sein Eigentum beschlagnahmen.
Sorg traute ihm nicht und hielt ihn für ein heruntergekommenes Subjekt. »Ich muss an die Arbeit«, sagte Sorg.
»Natürlich, Herr Carlson. Ich muss auch weitermachen. Und wenn Sie irgendwelche Probleme haben, sagen Sie mir Bescheid«, erwiderte der Hausbesitzer und widmete sich wieder dem Schneefegen.
Sorg stieg das halbe Dutzend Stufen zu dem Stadthaus hinauf, zog eine Schlüsselkette aus der Tasche und öffnete die beiden Schlösser an der massiven Eichentür. Dann betrat er den kalten, kahlen Korridor.
Die Zweizimmerwohnung mit den verschlissenen Spitzengardinen vor den Fenstern bestand aus einem Wohnzimmer, in dem auch das Bett stand, und einer schmutzigen Küche. Die Wohnung war schäbig eingerichtet. Es fehlte die Hand einer Frau. Die schale Luft wies darauf hin, dass die Räume nur selten gelüftet wurden. Für Sorgs Zwecke war es der ideale Ort.
Sein Vermieter glaubte, er sei ein schwedischer Antiquitätenhändler, der fast die ganze Woche über auf Reisen war. In Wahrheit wohnte Sorg meistens in einem der wenigen verbliebenen anständigen Hotels in Sankt Petersburg – dem Krim .
Sorg betrat die Küche und stellte seine große Tasche auf den wackeligen alten Tisch. Dann drehte er den Wasserhahn auf und ließ das Wasser eine Weile laufen, ehe er den Teekessel füllte. Wenigstens waren die Rohre nicht eingefroren. Mit einem Streichholz zündete er den Gasherd an. Während er darauf wartete, dass das Wasser kochte, öffnete er die Gladstone-Tasche und nahm einen Schraubenzieher heraus.
Dann drehte sich Sorg zu der grün gestrichenen Schranktür um, öffnete sie und blickte auf das Holzbrett an der Rückseite des Faches. Mit dem Schraubenzieher löste er vier Schrauben und hebelte das Brett heraus. Dahinter war ein großes Loch. Er griff mit beiden Händen hinein und zog zwei Beutel aus wasserdichtem Segeltuch aus dem Versteck.
Sorg knotete die dünne Schnur auf, mit der einer der kleinen Säcke zusammengebunden war, in dem dicke Stapel russische Rubel, englische Pfund, Schweizer Franken und amerikanische Dollars lagen. Alles sah unberührt aus. Er band den Beutel wieder zu und stellte ihn zurück in das Versteck.
Das zweite Säckchen nahm Sorg mit ins Wohnzimmer, stellte es vorsichtig auf den Tisch und knotete die Schnur auf. In eine graue Decke war ein Messing-Fernrohr der Kriegsmarine eingewickelt – die Deutschen bauten die besten Teleskope. Es war mindestens dreißig Jahre alt, aber echte Wertarbeit. Sorg schraubte die Beine des Stativs zusammen und befestigte das Fernrohr darauf.
In diesem Augenblick hörte er den Kessel pfeifen. Sorg kehrte in die Küche zurück und goss eine Kanne Tee auf. Das dampfende bernsteinfarbene Getränk füllte er anschließend in ein Glas um, in das er einen Löffel stellte, damit es nicht platzte, und kehrte damit ins Wohnzimmer zurück. Er zog sich einen Stuhl heran, öffnete die Knöpfe seines Mantels und setzte sich vor das Fernrohr. Eine Schachtel Zigaretten und einen billigen
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