Operation Romanow
Aschenbecher aus Metall stellte er neben sich auf den Boden.
Unter dem Mantel trug er einen dunklen Anzug aus feinem Wollstoff. Um den hohen, steifen Kragen seines Hemds und die schmale Krawatte war ein dicker Wollschal geschlungen, trotzdem fröstelte Sorg. Er rieb sich die Hände und zog die Gardine ein kleines Stück auf.
Die hervorragende Aussicht war der Grund, warum Sorg diese Wohnung ausgewählt hatte. Vom Fenster aus hatte er einen guten Blick auf den Alexanderpalast. Er richtete das Fernrohr auf die Gärten hinter dem Palast und stellte die Schärfe ein. Das Grundstück lag verlassen da. Sorg sah nur entlaubte Birken und ein paar bewaffnete Wachen, die auf den verschneiten Wegen gelangweilt hin und her schlenderten.
Er zog ein ledergebundenes Notizbuch aus der Tasche und legte es auf den Boden. Sorg benutzte immer seine eigene verschlüsselte Kurzschrift, sodass niemand seine Hieroglyphen hätte entschlüsseln können, sollte das Notizbuch jemals in falsche Hände geraten. Ein spitzer Bleistift steckte in seiner Brusttasche neben einem schwarzen Füllfederhalter. Er nahm den Füller heraus und legte ihn in seine Hand.
Der fünfzehn Zentimeter lange Füllfederhalter war ein interessantes Gerät. Die Feder bestand aus Toledostahl und war scharf wie ein Skalpell; es war eine Geheimwaffe, die er vom Außenministerium bekommen hatte. Wenn man die Kappe abzog, hatte man eine tödliche spitze Klinge, mit der man ausgezeichnet schreiben und gleichzeitig einem Menschen problemlos die Kehle durchschneiden konnte.
Sorg schlug mit der Klinge gegen den Silberring, den er am Ringfinger der linken Hand trug und der im einfallenden Licht leuchtete. Auf der Innenseite war ein kleines Symbol eingraviert:
Es war eine spiegelverkehrte Swastika, ein altes tibetanisches Glückssymbol. Doch das einfache Schmuckstück symbolisierte so viel mehr.
Sorg steckte den Füllfederhalter wieder ein und warf einen Blick auf seine Taschenuhr. Viertel vor zwölf. Bald konnte er mit der Arbeit beginnen. Er konnte es kaum erwarten.
Als er die Uhr wieder einsteckte, stieß er mit den Fingern gegen die kleine braune Arzneiflasche mit dem Gummipfropfen. Er zog sie heraus. Laudanumtinktur. Die rotbraun schimmernde Mischung bestand aus neun Teilen Alkohol und einem Teil Opium und wurde in Apotheken ohne Rezept verkauft. Heutzutage war es allerdings schwierig, dieses Mittel in Russland zu finden – wie alles andere übrigens auch.
Sorg war versucht, ein paar Tropfen zu nehmen, um sich zu beruhigen, doch er widerstand. Er musste sparsam mit seinem Vorrat umgehen und sich im Augenblick mit Tee und Zigaretten begnügen. Sorg steckte das Fläschchen wieder in die Tasche.
Er zündete sich eine Zigarette an, trank einen Schluck Tee und wartete.
Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Tag seines ersten Besuchs in einem anderen Palast der Romanows. Dort war er der temperamentvollsten jungen Frau begegnet, die er jemals kennengelernt hatte …
5. KAPITEL
Schloss Peterhof, dreißig Kilometer westlich von Sankt Petersburg
Sorg würde den Galaabend im Peterhof-Palast niemals vergessen.
Im Ballsaal tummelten sich unzählige liebreizende, hübsche Frauen, die in ihren feinen Seidenkleidern und dem funkelnden Schmuck hinreißend aussahen. Sorg, der ein Glas Burgunder in der Hand hielt und seinen Gesellschaftsanzug mit Schwalbenschwänzen trug, schüchterten die vielen Schönheiten ein wenig ein. Er ließ die Klänge des Strausswalzers hinter sich und spazierte durch die vergoldeten Räume des Palastes.
In den Kronleuchtern brach sich tausendfach das Licht, und jahrhundertealte Buchara-Teppiche und Ölgemälde zierten die Wände. Große schwarze Diener in bunten, langen Gewändern und mit hübschen Turbanen liefen mit Silbertabletts voller köstlicher Speisen auf den mit dicken Teppichen ausgelegten Gängen hin und her.
Sorg musste an den krassen Gegensatz zu den Elendsvierteln in Sankt Petersburg denken, die nur ein paar Straßen entfernt lagen. Riesige Wohnblocks, in denen Familien ein Drittel ihres Lohns an die Hausbesitzer zahlten und Fabrikarbeiter zu zehnt in einem Raum wohnten. Männer, die zwölf Stunden am Tag schufteten und sich nur am Sonntagnachmittag ausruhen konnten.
Sorg ging einen Gang hinunter, der im Glanz der Kronleuchter erstrahlte. Nachdem er sich einen Monat in der Hauptstadt aufgehalten hatte, hatte er diese Einladung in den Palast durch die Vermittlung des amerikanischen Botschafters erhalten. Auf diesem Wege sollte Sorg in
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