Operation Romanow
die Sankt Petersburger Gesellschaft eingeführt werden und gleichzeitig geheime Informationen sammeln.
Solche ausschweifenden Feste zogen die übliche Menge an – Fürsten und Fürstinnen, Prinzen königlicher Abstammung, Botschafter, Diplomaten, wohlhabende Geschäftsleute mit Backenbärten und die reichen Müßiggänger der feinen Gesellschaft – einschließlich des finsteren Mönchs Rasputin.
Sorg entdeckte ihn, als er betrunken und mit einer Horde adeliger verheirateter Frauen im Schlepptau durch den Saal flanierte. Die schlechten Zähne des Mönchs, das lange, fettige Haar und das vulgäre Lachen schienen die Faszination der Damen nicht zu schmälern.
Als Sorg an einem Raum vorbeikam, aus dem Musik drang, trat er ein. Eine junge Frau saß an einem Steinway-Flügel und spielte den ersten Satz von Tschaikowskis erstem Klavierkonzert.
Das kastanienbraune gewellte Haar fiel locker auf ihre Schultern, und das pastellblaue Seidenkleid, das sie trug, betonte den blassen Teint dieser klassischen Schönheit. Die weiblichen Rundungen, die unter dem glänzenden Stoff zögerlich erblühten, konnte man nur erahnen. Sie sah entzückend aus. Sorg schätzte sie auf höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre, doch die hohen Wangenknochen und der entschlossene Mund verliehen ihr ein selbstbewusstes Aussehen.
Sie spielte mit einer solch beschwingten Intensität, dass Sorg wie gebannt lauschte. Offenbar hatte sie ihn bemerkt, denn sie hörte auf zu spielen und drehte sich zu ihm um. Er stellte das Glas ab und klatschte.
Die junge Frau beäugte ihn misstrauisch und fingerte an der schlichten Perlenkette herum, die sich um ihren Hals schmiegte. »Ich glaube nicht, dass ich Applaus verdiene. Mögen Sie Tschaikowski?«
»Wenn Sie mich vor fünf Minuten gefragt hätten, hätte ich Nein gesagt«, erwiderte Sorg. »Doch ich glaube, Sie haben mich bekehrt.«
Sie hatte wunderschöne kornblumenblaue Augen. Sorg, der mit dem schwachen Geschlecht immer seine Schwierigkeiten hatte und Frauen grundsätzlich eher als Herausforderung betrachtete, fühlte sich aus irgendeinem sonderbaren Grund in der Gesellschaft dieser jungen Frau wohl. Vielleicht, weil ihr der Schalk im Nacken saß.
Sie lächelte. »Sie sind zu freundlich. Konrad sagt, ich müsse mehr üben.«
»Konrad?«
»Mein Klavierlehrer, aber er ist ein Dummkopf. Er droht, Russland zu verlassen, und sagt, es sei hier viel zu gefährlich in diesen unruhigen Zeiten.«
Sorg trat näher an den Flügel heran und bemühte sich, sein leichtes Hinken zu verbergen. »Er könnte recht haben.«
Die junge Frau dachte darüber nach. »Er sagt auch, dass der Zar schon bald ein Gefangener in seinem eigenen Palast sein könnte, während die Roten und die Weißen den Kampf auf den Straßen austragen. Würden Sie ihm zustimmen?«
»Ich fürchte, ich weiß es nicht. Beunruhigt Sie dieser Gedanke?«
»Er ist gewiss beunruhigend. Meinen Sie wirklich , ich habe gut gespielt?«
»Ja, aber Sie könnten noch besser spielen. Versuchen Sie es etwas mehr allegro con spirito . Tschaikowski können Sie nur gerecht werden, wenn Sie so viel Leidenschaft wie möglich in das Spiel legen.«
Die junge Frau funkelte ihn böse an, doch sie fasste sich schnell wieder. Offenbar amüsierte sie sich über den schlanken jungen Mann mit dem stolzen Gang. »Sie kennen sich wohl gut aus, was?«
»Darüber könnte man streiten. Darf ich?« Sorg beugte sich hinunter und spielte denselben Satz mit großer Leidenschaft. Seine Finger flogen geschickt über die Tasten, ehe er sein Spiel mit unglaublichem Schwung beendete. Er blickte lächelnd zur jungen Frau. »Warum versuchen Sie es nicht einmal so?«
Er war ihrem Gesicht so nahe, dass ihm ihr Lavendelduft in die Nase stieg. Sie schien beeindruckt zu sein. »Wie um alles in der Welt haben Sie gelernt, so zu spielen?«
Sorg nahm sein Weinglas in die Hand und trank einen Schluck. »Ich bekam schon mit vier Jahren Unterricht.«
»Können Sie mir noch weitere Ratschläge erteilen?«
Sorg lächelte. »Achten Sie darauf, dass die Klaviatur geöffnet ist, ehe Sie mit dem Spiel beginnen.«
Sie begann zu kichern. »Sie machen Spaß!«
»Mein Vater hat das immer gesagt.«
»War er Musiker?«
Sorg nickte. »Die meisten in meiner Familie waren Musiker, aber arme Leute. Sie spielten in Varietétheatern in Moskau und Sankt Petersburg.«
»Das muss interessant gewesen sein. Ich finde aber, vier Jahre ist sehr jung.«
»Ich glaube, wir Menschen versuchen, unsere Mängel auf
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