Operation Romanow
unterschiedliche Weise zu kompensieren. Vielleicht wollte ich Eindruck schinden.«
»Wie bitte?«
»Ach, das war nur Geschwätz. Nach der Musikhochschule bekam ich ein Angebot, in einem Orchester zu spielen. Ich blieb ein Jahr, und dann gewann ich eine wertvolle Erkenntnis.«
»Und was war das für eine Erkenntnis?«
Sorg lächelte. »Dass es mich zu Tode langweilen würde, den Rest meines Lebens als Mitglied eines Orchesters zu verbringen. Daher verdrängte das Geschäftsleben das Klavierspiel, fürchte ich. Es ist viel interessanter.«
Die junge Frau stand auf und legte behutsam eine Hand auf seinen Arm. Bei dieser zarten Berührung sprang ein Funke auf ihn über.
»Wie schade! Das war gewiss ein großer Verlust für die Musik. Können Sie mir beibringen, so zu spielen?«
Als sich ihre Blicke trafen, spürte er die starke Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte. Es war absurd. Er war mindestens zehn Jahre älter als sie, und doch zog sie ihn in ihren Bann. Dieses Mädchen mit dem kastanienbraunen Haar, den blauen Augen und der lebhaften Art war das entzückendste Geschöpf, das er jemals gesehen hatte.
»Warum nicht? Aber Sie müssen sich viel Mühe geben.«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Meine Schwestern behaupten, dass ich die Temperamentvollste in der Familie sei und alles mit Leidenschaft mache. Sie sprechen übrigens ausgezeichnet Russisch. Kann es sein, dass ich einen leichten Akzent heraushöre?«
»Ich bin amerikanischer Bürger. Ich habe Russland mit meiner Mutter als Kind verlassen.«
»Papa sagt, die Amerikaner werden eines Tages die mächtigste Nation der Welt sein. Wie heißen Sie?«
»Philip Sorg.«
»Ich bestehe darauf, Sie noch einmal spielen zu hören, Herr Sorg. Da mein Klavierlehrer die Nerven verloren hat und glaubt, Russland sei verdammt, möchte ich, dass Sie mir beibringen, so gut zu spielen wie Sie. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind, mir Unterricht zu geben.«
»Es wäre mir eine Ehre.«
Ihr Blick fiel auf den Silberring an seiner Hand. »Sind Sie verheiratet, Herr Sorg?«
»Nein, ich bin Junggeselle.«
Eine Tür wurde geöffnet, und eine junge Dame trat ein. Sorg erkannte eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen den beiden – das gleiche prächtige Haar und die gleichen zarten Gesichtszüge. »Da bist du ja, du Wildfang!«, sagte sie. »Mama sagt, du sollst sofort auf den Ball zurückkehren. Die Gäste fragen nach dir.«
»Sag ihr, ich komme gleich.«
Das ältere Mädchen musterte Sorg verärgert. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, mein Herr, aber versprechen Sie mir, dass meine Schwester unverzüglich auf den Ball zurückkehrt?«
»Ich verspreche Ihnen, mein Bestes zu tun.«
»Vergiss es nicht, sonst wird Mama furchtbar böse«, sagte sie zu ihrer Schwester und ging davon.
Die junge Frau strich ihr Kleid glatt. »Nehmen Sie es Olga nicht übel. Sie ist ein wenig herrisch. Es ist aber wirklich besser, wenn ich jetzt zurückgehe. Würden Sie mir Ihre Visitenkarte geben, Herr Sorg?«
Sorg wühlte in seiner Westentasche. »Müssen Sie Ihre Eltern nicht um Erlaubnis bitten, damit ich Ihnen Unterricht geben darf?«
»Sie erlauben es bestimmt, wenn ich ihnen sage, was für ein großartiger Klavierspieler Sie sind. Doch zuerst werden Sie Ihren Leumund überprüfen.«
»Meinen Leumund?«
Ihre Augen funkelten übermütig. »Sagen Sie mir, wenn Sie etwas Böses getan haben und von der Polizei oder den Behörden gesucht werden, Herr Sorg!«
»Soweit ich weiß, ist das nicht der Fall.« Er reichte ihr eine Visitenkarte, auf der in gestochener Handschrift sein Name und seine Adresse standen.
Die junge Frau warf einen Blick darauf und ging zur Tür. »Hier steht, Sie wohnen im Hotel Krim und sind im Im- und Exportgeschäft tätig?«
»Größtenteils Edelmetalle, aber ich handle mit allem, was Gewinne einbringt. Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
Die junge Frau strahlte übers ganze Gesicht. Sie sah so reizend aus, wenn sie lächelte. »Nennen Sie mich Anastasia«, erwiderte sie, ehe sie mit einer überschwänglichen Geste verschwand und den Korridor hinunterlief.
6. KAPITEL
Zarskoje Selo
Sorg erwachte aus seinen Tagträumen. Vier bewaffnete Wachen traten durch eine Terrassentür auf den schneebedeckten Rasen des Palastes.
Er erstarrte und beobachtete das Geschehen durch das Fernrohr. Hinter den Wachen kam die Romanow-Familie. Sorgs Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als hätte ihm jemand einen Dolch zwischen die Rippen gestoßen.
Die Letzte, die
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