Operation Romanow
dich zu besitzen. Ich war zu arm und hässlich, um jemals darauf hoffen zu können.«
»Leonid … sag so etwas nicht!«
»Warum nicht? Als ich dich in der Nacht, als Stanislaw geboren wurde, zum ersten Mal gesehen habe, hätte ich mich am liebsten wie ein kleiner Hund vor deinen Füßen zusammengerollt. Sicher, es war eine kindliche Liebe, aber für mich war es dennoch von Bedeutung. Weißt du, was traurig ist? Ich habe niemals eine andere Frau so geliebt wie dich. Nicht einmal die Mutter meiner Tochter.«
Nina errötete.
Jakow wischte sich noch einmal mit dem Handrücken über den Mund. »Diese Revolution wird alles verändern. Menschen wie du und deinesgleichen werden nicht mehr in Sicherheit sein. Das Leben wird hart für euch. Sogar grausam. Ich könnte dein Beschützer sein. Ich könnte dafür sorgen, dass dir und deinem Kind nichts zustößt.«
Der Junge regte sich wieder im Schlaf und hustete erneut. Nina nahm das Paket und drückte es Jakow an die Brust. »Bitte geh jetzt.«
»Behalte es, dem Kind zuliebe.«
»Ich will nichts von dir, Leonid. Nichts! «
Jakow musterte noch einmal den schäbigen Raum. »Es muss nicht so sein. Du brauchst kein tristes, hoffnungsloses Leben zu führen. Ich könnte dafür sorgen, dass dir eine bessere Wohnung zugeteilt wird und dass du vernünftiges Essen bekommst. Vor allem könnte ich dir das geben, was du dir so verzweifelt wünschst.«
»Und was soll das sein?«
»Ich kann dir dein Leben zurückgeben. Du brauchst mich nur zu informieren, wenn Juri Kontakt zu dir aufnimmt.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Dann wird Lenin dich und dein Kind in ein sibirisches Gefangenenlager verbannen.«
Kurz darauf hörte sie seine polternden Schritte auf der Treppe. Nina ging zum Fenster und sah, dass Leonid Jakow in einen Lastwagen stieg, der sofort losfuhr. Einen Augenblick lang ließ sie den Blick auf der leeren Straße ruhen, dann wandte sie sich ab. Sie trat ans Bett und betrachtete ihren Sohn. Jakows Warnung ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Sie blickte auf Sergejs schlafendes Gesicht und die Schweißperlen auf seiner Stirn hinunter, seine vollen Lippen und die zarte Haut, die feuchten blonden Locken, die sie so gerne zerzauste. Zärtlich strich Nina mit dem Handrücken über sein Gesicht und lauschte seinem schweren Atem.
Als Nina es nicht mehr ertragen konnte und ihr Tränen in die Augen stiegen, stand sie auf und setzte sich auf einen der Stühle.
Sie legte die Arme auf den Tisch, ließ den Kopf sinken und begann bitterlich zu weinen. Um ihre Eltern, um ihr Kind, um das Geheimnis, das sie bewahrte und das sie versprochen hatte, niemals preiszugeben, um ihren Ehemann, den sie verlassen hatte, und um das erbärmliche Leben, das sie jetzt führte.
26. KAPITEL
London
Die Droschke bog zum Hyde Park ab, und die Pferde trotteten auf einen der Brunnen zu. Die Sonne schien, es war ein warmer Tag. Eisverkäufer auf Fahrrädern verkauften Eiscreme, die in Behältern mit zerhacktem Eis gekühlt wurde.
Die Droschke hielt an, und Hanna Wolkowa stieg aus. Sie spannte ihren Sonnenschirm auf und ging auf den Brunnen zu.
Ein Mann mit kränklicher Miene um die sechzig in einem feinen Anzug und Hut stand dort und rauchte eine Zigarre. Er stützte sich auf einen Gehstock und beobachtete die Wasserfontäne. Mit den hervorquellenden Augen, dem blassen Gesicht und der langen Nase war er eine sonderbare Erscheinung.
Als Hanna sich näherte, drehte er sich zu ihr um und nahm den Hut ab, woraufhin sein kahlköpfiger Schädel sichtbar wurde. »Guten Tag, Hanna, ich freue mich, Sie wiederzusehen.«
»Ich freue mich auch, Herr Botschafter.«
Walter Hines Page setzte den Hut wieder auf und blickte auf den sonnenbeschienenen Park, durch den Paare flanierten und in dem Kinder spielten. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir ein paar Schritte gehen? Ein alter Mann muss sich ab und an ein wenig die Beine vertreten.« Er zeigte mit dem Stock auf den Weg, der an dem Brunnen vorbeiführte.
Hanna bemerkte einen kräftigen Mann mit einem Schnurrbart und einer Melone auf dem Kopf, der ihnen mit einigen Metern Abstand folgte. Er schien sich in seinem braunen Anzug nicht wohl zu fühlen. Hanna vermutete, dass er der Leibwächter des Botschafters war.
»Ich nehme an, Sie haben Mr Andrew unseren Plan unterbreitet?«
»Ja, habe ich.«
Page klopfte die Asche von der Zigarre. »Bevor ich Ihnen eine äußerst wichtige Frage stelle, wüsste ich gerne Ihre Meinung, Hanna.«
»Herr Botschafter?«
»Sie
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