Operation Romanow
neben sie auf die Bank setzte.
Hanna musterte Andrew, einen gut aussehenden, sympathischen Mann. Er wirkte ruhig und kontrolliert, doch er hatte einen harten, unsteten Blick. »Ich bin Hanna Wolkowa. Waren Sie schon mal in der Kirche des Heiligen Konstantin, Juri?«
»Sie hat mir mehrmals als willkommene Zufluchtsstätte vor dem Regen gedient«, erwiderte Andrew mit dankbarer Miene. »Und Vater Doneskis Suppenküche hat mich nicht nur einmal vor dem Verhungern bewahrt. Warum fragen Sie?«
Hanna drehte den Kopf zu einem Glasfenster in einer Ecke der Kirche. Durch die Scheibe konnte man die Schlange vor der Suppenküche sehen. »Ich weiß nicht, was wir ohne selbstlose Männer wie Vater Doneski machen würden. Nur wegen Lenin sind Millionen verarmter Russen nach Europa geflohen.« Sie wandte sich wieder dem Besucher zu. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Als Kind mochte ich Kirchen nicht allzu sehr. Sie kamen mir immer wie dunkle, trostlose Orte vor. Doch je älter ich werde, desto mehr weiß ich den Frieden zu schätzen, den man sonst nirgendwo findet.«
»Das verstehe ich.«
Hanna betrachtete den vergoldeten Altar. »Vielleicht hatte Tschechow recht, als er sagte, ein Haus Gottes sei einer der wenigen Plätze auf der Welt, wo wir die Ruhe seiner Umarmung spüren können.«
»Ich nehme an, dass Sie mich nicht an diesen Ort gebeten haben, um mit mir über Religion zu sprechen, Hanna. Oder über Tschechows Werke, obwohl ich sicher bin, dass Sie mit ihnen bestens vertraut sind.«
»Sie wissen, wer ich bin?«
»Ich habe Sie nur ein Mal auf der Bühne gesehen, aber ich kenne Ihr Gesicht aus den Zeitungen. Und ich wundere mich, warum die berühmteste Schauspielerin von Sankt Petersburg mit mir sprechen möchte.«
»Sie haben ein gutes Gedächtnis. Die Wahrheit ist, dass mein Gatte auf Lenins Befehl hin ermordet wurde, nachdem die Roten die Macht ergriffen haben. Seitdem habe ich keine Bühne mehr betreten.«
»Es tut mir leid, das zu hören. Warum wurde er umgebracht?«
»Weil Lenin ein blutrünstiger Mörder ist. Mein Mann hat sich ihm widersetzt und mit dem Leben bezahlt. So geht es in diesen Tagen in Russland zu. Jeder Widerspruch wird im Keim erstickt.«
Hanna holte tief Luft und fuhr dann fort. »Mir wurde erzählt, dass Sie ein schlimmes Erlebnis hatten, ehe Sie aus Russland geflohen sind. Dass Sie eine Begegnung mit der Geheimpolizei hatten und gezwungen waren, Ihre Frau und Ihr Kind im Stich zu lassen. Würden Sie mir sagen, was passiert ist?«
»Das geht nur mich allein etwas an.«
»Sie haben recht, doch es könnte eine Bedeutung für das Angebot haben, das ich Ihnen gleich machen werde.«
»Was für ein Angebot?«
»Ein höchst interessantes. Bitte beantworten Sie mir meine Frage.«
Andrew kniff die Lippen zusammen, und seine Augen spiegelten großen Kummer wider. »Kurz nach meiner Flucht aus dem Gefangenenlager wurde ich von der Tscheka gejagt. Es gelang mir, Sankt Petersburg zu erreichen und meine Frau und meinen Sohn zu sehen. Uns blieben nur ein paar gemeinsame Minuten, mehr nicht, denn unser Haus wurde beobachtet.« Er zögerte kurz. »Ich musste schnell verschwinden, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Als ich das Haus verließ, stieß ich mit dem Tscheka-Kommissar zusammen, der mich gejagt hat. Es kam zu einer Konfrontation. Ich habe einige seiner Männer erschossen und konnte in letzter Sekunde fliehen.«
»Was bedeuten Ihnen Ihre Frau und Ihr Sohn?«
»Meine Frau hat sich von mir scheiden lassen. Aber natürlich bedeutet mir meine Familie alles. Und wie könnte ich meinen Sohn vergessen?«
»Warum haben sich die Gefühle Ihrer Frau Ihnen gegenüber verändert?«
Andrew warf Hanna einen kummervollen Blick zu. »Der Krieg verändert uns alle. Nina hat sich mehr verändert als die meisten anderen. Aber würden Sie mir jetzt bitte endlich sagen, was das alles zu bedeuten hat?«
Hanna stand auf. »Nicht weit von hier gibt es ein kleines Restaurant, in dem ein recht guter Borschtsch serviert wird. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich Sie gerne zum Essen einladen. Die Leute, in deren Namen ich spreche, möchten Ihnen ein interessantes Angebot unterbreiten.«
»Welche Leute?«
»Das erkläre ich Ihnen später. Wir möchten, dass Sie nach Russland zurückkehren. Es wäre natürlich sehr gefährlich für Sie. Aber wir würden Ihnen im Gegenzug einen Vorschlag machen.«
»Worüber in Gottes Namen reden Sie?«
»Wie würde es Ihnen gefallen, wenn wir Nina und Ihren Sohn nach London
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