Operation Romanow
behutsam wieder in den Rollstuhl. »Immer mit der Ruhe. Wir kommen gerade zum interessanten Teil.«
»Und der wäre, Boyle? Eine kurze Zusammenfassung meines Lebens, bevor die Briten mich hinrichten?«
»Nun gut, ich sage es Ihnen frei heraus, worum es geht. Die Leute, in deren Namen ich spreche, beabsichtigen, den Zaren und seine Familie zu retten.«
»Was?«
»Sie haben ganz richtig verstanden. Wenn alles wie geplant läuft, befreien wir die Romanows vor den Augen ihrer Bewacher.«
Lydia starrte ihn an und begann zu lachen. »Sind Sie verrückt, Boyle?«
»Warum ist es in Irland fast ein Kompliment, jemanden verrückt zu nennen? Und kennen Sie nicht dieses sonderbare Gesetz des Universums, das besagt, dass dem Mutigen die Welt gehört?«
»Sie meinen es wirklich ernst, nicht wahr?«
»Allerdings.« Boyle stellte einen Fuß auf die regennasse Bank gegenüber von Lydia und stützte sich auf sein Knie. »Sie erwartet eine gefährliche Reise nach Russland und zurück. Sie reisen in Begleitung eines Mannes und geben sich zur Tarnung als Paar aus. Sobald Sie Jekaterinburg erreichen, müssen Sie bestimmte Aufgaben übernehmen, damit die Rettung der Familie gelingt, ohne dass jemand in Gefahr gerät. Es ist ein solider, durchführbarer Plan.«
Lydias Augen funkelten spöttisch. »Haben Sie meine anschließende Beerdigung auch schon geplant, Mr Boyle?«
»Ich weiß, was Sie denken. Wenn man Sie schnappt, wird man Sie für eine Spionin halten, und Spione werden erschossen. Aber ich vertraue darauf, dass unsere Strategie funktioniert. Sonst würde ich mich nicht für diese Sache stark machen.«
»Wer sind Sie?«
»Darüber können wir sprechen, wenn ich Ihre Antwort habe. Es gibt noch einen anderen, konkreteren Grund, warum ich Sie ausgewählt habe. Auch darüber können wir später sprechen.«
»Wollen Sie wirklich wissen, was ich glaube?«, erwiderte Lydia aufgebracht. »Sie haben recht. Mir liegt nicht das Geringste an Monarchien und irgendjemandem, der damit verbunden ist! Tatsächlich verachte ich sie mittlerweile sogar. Denn durch die Schuld von Herrschern wie dem Zaren sind in diesem und unzähligen anderen Kriegen Millionen von Menschen umgekommen. Und warum? Weil ein paar aufgeblasene Idioten glauben, sie hätten ein gottgegebenes Recht zu herrschen?«
Boyle zog an seiner Zigarette und inhalierte den Rauch. »Ich nehme an, Sie haben den Zaren kennengelernt, als Sie in seinem Haus gearbeitet haben?«
»Natürlich habe ich ihn kennengelernt! Er ist ein freundlicher, aber nicht allzu intelligenter Mann, der schon vor Jahren seine Macht hätte aufgeben müssen. Ich halte ihn für einen Dummkopf, weil er die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Er ist selbst schuld an seiner Misere, und jetzt muss er die Sache ausbaden.«
»Und die Zarenkinder?«
Lydia erblasste und starrte Boyle schweigend an, als hätte er einen wunden Punkt berührt.
»Ich habe gehört, dass Sie besonders Anastasia nahestanden«, sagte Boyle. »Sie war es, die durch Ihre Hilfe im Park von Schloss Peterhof vor dem Ertrinken gerettet wurde, nicht wahr?«
»Das ist fünf Jahre her, Boyle. Seitdem ist viel passiert. Ich bin nicht mehr die Frau, die ich damals war. Wir leben in einer anderen Welt.«
Boyle lächelte gequält. »Offenbar, denn jetzt schmuggeln Sie deutsche Waffen! Aber wir sprechen über fünf junge Menschen. Würden Sie es übers Herz bringen, sie im Stich zu lassen?«
Lydia schwieg.
»Wir haben von unserem Geheimdienst erfahren, dass die Roten die Absicht haben, die gesamte Familie hinrichten zu lassen. Das bedeutet, dass wir schnell handeln müssen. Ein paar Tage werden Sie auf Ihre Aufgabe vorbereitet, ehe wir Sie auf die Reise schicken. Sie sind eine Frau, die in der Lage ist, auch schwierige Situationen zu bewältigen, und so eine Fähigkeit kann man sich nur schwerlich aneignen, Miss Ryan.«
»Ich bin nicht die Frau, die Sie brauchen, Mr Boyle. Wirklich nicht«, sagte Lydia. »Und glauben Sie nicht, ich würde den Zarenkindern keine Gefühle entgegenbringen. Das tue ich. Aber das ist nicht mein Kampf! Ich habe mich schon einer anderen Sache verschrieben.«
Boyle warf seine Zigarette weg und seufzte. »Sie machen es mir nicht gerade leicht, nicht wahr?« Er drehte den Rollstuhl um und schob Lydia in die andere Richtung. »Dann wollen wir mal sehen, ob ich Ihre Meinung noch ändern kann.«
28. KAPITEL
Dublin
Boyle schob Lydia in dem Rollstuhl einen Gang mit weißen Fliesen an den Wänden hinunter, bis sie zu
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