Operation Sahara
Temperaturschwankungen riefen in Pitt das Gefühl hervor, die vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag zu erleben: die Hitze des Tages als Sommer, den Abend als Herbst, die Nacht als Winter und den Morgen als Frühling.
Das Gelände veränderte sich so allmählich, daß Pitt gar nicht wahrnahm, daß die hervorstechenden Fels- und Erzformationen kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden. Erst als er stehenblieb, zur Richtungsbestimmung zu den Sterne n emporblickte und anschließend nach vorne sah, bemerkte er, daß sie das leicht abfallende Plateau hinter sich gelassen hatten. Sie befanden sich nun in einer flachen Ebene, die von Wadis oder trockenen Flußläufen durchzogen wurde, die von längst versiegten Flüssen oder vergessenen Regenfluten ausgewaschen worden waren.
Durch die Erschöpfung verlangsamte sich ihr Marschtempo und wurde allmählich zu einem unbeholfenen Stolpern.
Müdigkeit und Erschöpfung waren wie Gewichte, die auf ihren Schultern lasteten und mitgeschleppt werden mußten. Dennoch drangen sie langsam und stetig weiter nach Osten vor und verbrauchten die wenige Kraft, die ihnen noch geblieben war.
Sie waren so schwach, daß sie nach einer Rast kaum noch auf die Beine kamen.
Pitt trieb sich mit der Vorstellung weiter, wie O’Bannion und Melika die Frauen und Kinder in dem Höllenloch der Mine quälten. Vor sich sah er, wie Melikas Riemen wuchtig auf hilflose Opfer und Sklaven, krank vor Hunger und Erschöpfung, hinuntersauste. Wie viele mochten gestorben sein, seit sie geflohen waren? Hatte man Eva schon in die Leichenhöhle gebracht? Nur diese dunklen Gedanken konnten ihn dazu bringen, über sich hinauszuwachsen, die Qual zu ignorieren und wie eine Maschine weiterzulaufen.
Pitt fand es eigenartig, daß er sich nicht daran erinnern konnte, wann er das letzte Mal gespuckt hatte, obwohl er kleine Kieselsteine lutschte, um den erbarmungslosen Durst zu lindern.
Seine Zunge war zwar geschwollen wie ein trockener Schwamm, aber er konnte noch schlucken.
Sie erreichten ein schmales, sandiges Flußbett, das sich durch ein Tal zwischen felsbedeckten Hügeln hindurchschlängelte, und folgten ihm, bis es sich nach Norden wandte. Dann kletterten sie das Ufer hinauf und marschierten weiter Richtung Osten. Der nächste Tag brach an, und Pitt blieb stehen, um einen Blick auf Fairweathers Karte zu werfen, wobei er das zerknitterte Papier so hielt, daß der Lichtschein von Osten her darauf fiel. Die grobe Zeichnung zeigte einen ausgetrockneten See, der sich fast bis zur Trans-Sahara-Straße hinzog. Obwohl der ebene Boden das Marschieren erleichterte, sah Pitt nur eine mörderische Umgebung, in der sie eine sengende Hitze erwarten würde.
Die Qualen setzten sich fort. Ein paar Wolken erschienen am Himmel, verdeckten die aufgehende Sonne und gewährten den Männern fast zwei Stunden dankbar empfundene Erleichterung.
Dann zogen die Wolken weiter, zerstreuten sich, und die Sonne war wieder da, heißer als je zuvor. Gegen Mittag waren Pitt und Giordino zu Tode erschöpft. Wenn die Hitze des Tages ihre gemarterten Körper nicht umbrachte, dann würde es mit Sicherheit die extreme Kälte einer langen Nacht tun.
Schließlich gelangten sie ganz unvermittelt an einen tiefen Einschnitt mit steilen Hängen, die sieben Meter weit unter die Oberfläche des ausgetrockneten Sees abfielen, und ihn fast wie ein künstlich angelegter Kanal durchschnitten. Pitt wäre fast hinabgestürzt, weil er nur vor sich auf den Boden gestarrt hatte.
Stolpernd hielt er an und warf einen verzweifelten Blick auf dieses unerwartete Hindernis. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, da hinunter- und auf der anderen Seite wieder aus der Schlucht hochzuklettern. Giordino stolperte neben ihm und brach zusammen. Sein Körper wurde schlaff, bevor er auf dem Boden aufschlug und mit Kopf und Armen über dem Rand des Grabens liegen blieb.
Pitt warf einen Blick über den Einschnitt hinweg auf die ungeheure Leere der anderen Seite, und ihm war im gleichen Augenblick klar, daß ihr heldenhafter Kampf ums Überleben zu Ende war. Sie hatten nur 30 Kilometer zurückgelegt und noch weitere 50 vor sich.
Giordino drehte sich langsam um und sah seinen Freund an.
Pitt, obwohl völlig erschöpft, hielt sich phantastisch. Das zerfurchte, ernste Gesicht, seine kräftige Gestalt, die intensiven, durchdringenden opalgrünen Augen, die Raubvogelnase, um den Kopf ein staubiges weißes Handtuch geschlungen, das sein schwarzes, welliges Haar verdeckte –
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