Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
unterhielten sich, aber die Frau konnte die Worte nicht verstehen, hörte nur leises Murmeln.
Etwa vierzig Meter weiter links stand eine hölzerne Wachbaracke neben einer Tannenreihe, deren Zweige wie mit Puderzucker bestäubt aussahen. Die Baracke war erleuchtet, und Rauch drang in einer dicken Wolke in die eiskalte Luft. Sie wußte, daß sich dort die anderen Grenzsoldaten von der Schicht ausruhten, aber seit einer halben Stunde hatte sich in dem Haus nichts gerührt. Niemand war hineingegangen oder hatte es verlassen. Hinter dem gelb erleuchteten Milchglasfenster bewegten sich nur Schatten. Die Eisenbrücke war in das helle Licht gelber Bogenlampen getaucht, die in den Bäumen hingen, und die rotweißen Schranken waren an beiden Enden geschlossen.
Die Frau glaubte, zwischen den Bäumen die Lichter von finnischen Häusern sehen zu können, war sich aber nicht sicher, weil die finnische Seite der Grenze hell erleuchtet war. Außerdem standen dort noch mehr Wachen, allerdings in graue Mäntel und Uniformen gekleidet.
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine plötzliche Bewegung wahr und blickte wieder auf die russische Seite zurück. Der Wachposten mit dem Gewehr über der Schulter trat in das kleine Häuschen, während der andere zwischen die Bäume ging und seinen Hosenstall aufknöpfte, um Wasser zu lassen.
Die Frau zitterte am ganzen Körper. Sie wußte, was sie zu tun hatte. Wenn sie sich nicht bald rührte, würde sie erfrieren. Die eisige Kälte drang ihr schon bis auf die Knochen. Sie rollte sich im Schnee herum, tastete mit den Fingern nach dem Lederhalfter und umschloß den kalten Griff des Nagant-Revolvers.
Langsam rollte sie sich zurück und beobachtete, wie der Wachposten urinierte. Jetzt oder nie. Sie holte tief Luft und stand auf. Ihre Beine zitterten vor Angst. Als sie die Deckung der Bäume verließ, schob sie die Waffe in die Manteltasche.
Im Nu war sie neben dem Wachhäuschen und sah, wie der Posten mit der Maschinenpistole sich die Hose zuknöpfte und unvermittelt umdrehte. Fassungslosigkeit legte sich auf sein Gesicht.
Er sah eine junge Frau, die auf ihn zukam. Ihr Offiziersmantel mit den grünen Schulterstücken eines Hauptmanns und die Offizierskappe waren eine Nummer zu groß, und ihre Kleidung war von Rauhreif und Schnee überzogen. Ihre dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, die Lippen waren vor Kälte gesprungen.
Einen Augenblick wirkte der Posten unsicher, als spürte er, daß da etwas nicht stimmte. »Tut mir leid, Hauptmann«, sagte er dann. »Das hier ist Sperrgebiet. Darf ich Ihre Papiere sehen, Genossin?«
Der Wachposten nahm die Maschinenpistole herunter und starrte der jungen Frau mißtrauisch ins Gesicht. Den Nagant-Revolver übersah er. Das war sein Fehler.
Die Waffe dröhnte zweimal. Die Kugeln trafen den Soldaten in die Brust und schleuderten ihn zurück. Sofort schrien Stimmen wild durcheinander, Vögel flogen kreischend auf. Augenblicke später stürmte der zweite Posten aus dem Wachhäuschen.
Die Frau feuerte und traf den Posten in die Schulter. Der Einschlag wirbelte den Mann um seine eigene Achse. Sofort rannte die Frau zur Brücke.
Hinter ihr, auf der russischen Seite, brach die Hölle los. Sirenen heulten, und die Soldaten stürmten brüllend aus der Wachbaracke. Die Frau achtete nicht darauf, daß jemand ihr hinterherschrie, sie solle stehenbleiben, während sie in Richtung der finnischen Schranke rannte, die kaum fünfzig Meter entfernt war. Sie ließ den Revolver fallen. Ihre Lungen schmerzten unter ihren keuchenden Atemzügen.
Vor ihr tauchten finnische Soldaten in grauen Uniformen wie aus dem Nichts auf und legten ihre Gewehre an. Einer deutete über die Schulter der Frau und rief ihr etwas zu.
Sie konnte den russischen Wachposten nicht sehen, der sie dreißig Meter hinter ihr ins Visier nahm, aber sie hörte den Knall der Waffe und sah die Wolke aus Schnee rechts neben ihr explodieren, bevor die Kugel von der Eisenbrücke prallte.
Dann peitschte noch ein Schuß. Die Frau wurde plötzlich nach vorn geschleudert und verlor das Gleichgewicht. Ein furchtbarer Schmerz breitete sich in ihrer Seite aus. Aber sie rannte weiter im Zickzack über die Brücke.
Als sie vor der finnischen Schranke zusammenbrach, schrie sie in Todesangst auf. Plötzlich griffen kräftige Hände nach ihr und zerrten sie zur Seite, aus der Schußlinie.
Ein junger, blasser Offizier brüllte seinen Männern heiser Befehle zu. Die Frau verstand die Worte nicht. Andere Männer machten sich
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