Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
an ihrer blutigen Uniform zu schaffen und schleppten sie zur Wachbaracke.
Auch hier heulten jetzt die Sirenen, aber sie spürte nur den Schmerz in ihrer Seite und die schreckliche Müdigkeit, als wäre ein Damm in ihrem Innern gebrochen und all die aufgestaute Furcht und Erschöpfung würde jetzt hervorbrechen. Sie weinte. Dann schien plötzlich alles vor ihren Augen zu verschwimmen. Sie konnte nichts mehr sehen, und die Geräusche klangen gedämpft.
Der junge Offizier musterte ihr Gesicht. Sie hörte den drängenden Unterton in seiner Stimme, als er einem seiner Männer befahl, einen Arzt zu verständigen.
Die Frau schloß die Augen.
Danach erinnerte sie sich nur noch an die Dunkelheit.
Eine süße, schmerzlose Dunkelheit, der sie sich hingab.
Der Offizier von der SUPO, der finnischen Gegenspionage, war vom nächstgelegenen Stützpunkt in Lappeenranta hergeflogen. Er war Anfang Vierzig, hatte ein schmales Gesicht und trug Zivil. Der dunkle Anzug schlotterte um seine hagere Gestalt. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen schienen alles zu sehen, doch ihr Blick war distanziert. Er wirkte wie ein Mann, der mit seinem Job verheiratet ist.
Er stellte sich als Kommissar Ukko Jäntti vor. Als der ältereArzt ihn zu der jungen Frau führte, die in ihrem Krankenhausbett schlief, betrachtete er sie lange.
Vermutlich war sie Anfang bis Mitte Zwanzig. Sie hatte die Augen geschlossen. Die Haut darum herum war dunkel und eingefallen. Sie lag auf der Seite und berührte mit einem Finger einer Hand ihre Lippen, was ihr ein kindliches Aussehen verlieh.
Ihr dunkles Haar war kurz geschoren. Die rosa Kopfhaut schimmerte an manchen Stellen durch, als hätte jemand ihr mit Gewalt diesen Haarschnitt verpaßt. Ihre Lippen hatten Frostbeulen, und ihr Gesicht war zerschunden. Sie wirkte ausgemergelt, und die Adern und Sehnen ihres Körpers traten überdeutlich hervor. Trotz ihres Zustandes fand der Offizier sie ausgesprochen hübsch. Sein Blick fiel auf ihre geschwungenen Hüften und die langen, schlanken Beine unter der Bettdecke.
Schließlich wandte er sich wieder an den Arzt. »Wie geht es ihr?«
»Den Umständen entsprechend. Die Kugel hat nicht viel Schaden angerichtet. Aber ihre allgemeine Verfassung ist sehr schlecht. Sie ist in einem erbärmlichen Zustand.«
Die junge Frau drehte sich im Schlaf auf den Rücken, wimmerte kurz wie ein waidwundes Tier und verstummte dann wieder.
»Kann sie sprechen?« wollte der Offizier wissen.
»Sie ist vor einer Weile aufgewacht. Aber nach der Anästhesie ist sie noch nicht ganz wieder da. Lassen Sie ihr noch vierundzwanzig Stunden Ruhe, dann können Sie mit ihr reden.«
»Hat sie irgend etwas gesagt?«
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Sie hat nur zwei Namen gesagt, immer und immer wieder: Iwan und Sascha.«
Der Offizier holte ein Notizbuch aus seiner Brusttasche und schrieb hastig etwas hinein. Dann blickte er wieder auf.
»Was meinen Sie, Doktor? Wird sie wieder gesund?«
Der Arzt nahm seine Brille ab. »Die Kugel hat ihre Seite glatt durchschlagen. Sie hat sehr viel Glück gehabt, daß die Niere nicht getroffen wurde. Aber sie leidet unter Erfrierungen, und ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist miserabel. Ich vermute, daß sie einige Stunden draußen in der Kälte verbracht hat. Bei den extremen Temperaturen ist es ein Wunder,daß sie überhaupt noch lebt. Außerdem ist sie unterernährt.« Er musterte den Offizier. »Sie hat angeblich zwei russische Wachposten erschossen. Stimmt das?«
»Sie hat einen getötet, den anderen verwundet. Wenn man sie so ansieht, würde man ihr das gar nicht zutrauen. Sie sieht so unschuldig aus.« Er lächelte. »Frauen wie die hätten wir im Winterkrieg gut gebrauchen können.«
»Was machen die Russen? Haben sie schon Informationen über das Mädchen?«
»Sie regen sich fürchterlich auf, wie immer, wenn jemand von ihnen überläuft. Und wie üblich ignorieren wir sie. Sie wollen die Frau natürlich zurückhaben. Sie behaupten, sie wäre eine gewöhnliche Kriminelle, die aus einem Strafgefangenenlager geflohen sei.« Der Offizier zuckte gleichgültig die Schultern. »In der Nähe von Petrosawodsk gibt es ein Lager. Es liegt etwa fünf Stunden zu Fuß von der Grenze entfernt. Könnte also stimmen. Sie sagen, sie hätte auch einen Lagerwächter getötet. Ihr Name lautet angeblich Anna Chorjowa.«
Der Arzt runzelte die Stirn. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Er hob den Arm des Mädchens und rollte den Ärmel des Hemdes zurück. Der
Weitere Kostenlose Bücher