Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
Gesicht. »Schmerz ist das Wenigste. Wissen Sie, wo Sie sind? Am Dsershinski-Platz in Moskau. Sie sind ohnmächtig geworden, als ich Ihnen das hier aus dem Mund genommen habe.« Er holte die kleine Zyankali-Pille aus der Tasche und hielt sie in die Höhe. »Ich konnte Sie gerade noch daran hindern, sie zu zerbeißen.«
Anna streifte die tödliche Pille mit einem kurzen Blick und wandte dann das Gesicht ab. »Wie lange bin ich hier?«
»Sie wurden gestern abend mit einem Militärtransport eingeliefert. Es ist leider kein sehr angenehmer Ort, und er hat sich seinen schlechten Ruf redlich verdient.« Lukin zögertekurz; dann fuhr er ohne jede Belustigung in der Stimme fort. »Einige nennen es den Vorhof der Hölle, und vielleicht haben sie damit recht.«
Er ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat sie mit dem Absatz aus. Dann öffnete er den Aktenordner und blätterte kurz die Seiten durch.
»Ich habe Ihre Akte eingehend gelesen. Sie haben ein schweres Leben hinter sich, Anna Chorjowa. So viel Schmerz. So viel Leid. So viel Tragik. Der Tod Ihrer Eltern. Der Prozeß gegen Ihren Ehemann.« Er hielt inne. »Ganz zu schweigen von dem, was danach passierte. Und jetzt das.«
Anna blickte Lukin verblüfft an. »Woher … woher wissen Sie, wer ich bin?« fragte sie dann plötzlich.
»Wir wußten schon lange, daß Sie mit dieser Sache zu tun hatten. Noch bevor Sie auf sowjetischem Boden gelandet sind. Sie und Slanski.«
Anna wollte etwas sagen, war aber so schockiert, daß kein Wort über ihre Lippen drang.
»Anna«, sagte Lukin, »wenn Sie mir helfen und alles erzählen, was Sie wissen, ist es für uns beide einfacher.«
Sie schaute ihn fest an. »Ich habe nichts zu sagen.«
»Anna, es gibt hier Leute, die Sie zum Reden bringen können. Leute, denen es Spaß macht, Ihnen weh zu tun. Denen Ihre Schreie gefallen. Die Sie vergewaltigen, Sie foltern. Ich bin keiner von denen. Aber ich habe diese Leute bei … bei der Arbeit gesehen, und es ist kein sehr erfreulicher Anblick. Wenn Sie nicht mit mir reden, werden diese Leute Sie zum Sprechen bringen. Glauben Sie mir.«
Anna schwieg.
»Ich weiß, daß Slanski hier ist, weil er Stalin töten will.«
Annas Kopf ruckte hoch, und ihr Gesicht war kreidebleich.
Lukin ließ sie nicht aus den Augen. »Ich glaube, daß die Amerikaner Sie nur benutzt haben, damit Slanski es bis nach Moskau schafft. Sie haben sich als seine Frau ausgegeben, so daß er nicht so schnell Verdacht erregt. Aber Slanskis Auftrag ist bereits gescheitert. Gestern abend konnte er zwar entkommen, aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß eine unserer Patrouillen ihn stellt. In der Zwischenzeit könnten Sie mir helfen, indem Sie mir alles erzählen, was Sie wissen. Wer IhreKontaktpersonen waren, als Sie in Estland gelandet sind. Wer Ihre Kontaktpersonen in Moskau und auch unterwegs gewesen sind. Ich möchte wissen, wer Sie ausgebildet hat, wo und wie. Und dann sollten Sie mir alles über Slanskis Plan verraten, wie er Stalin umbringen will. Wenn Sie mir helfen, indem Sie diese Fragen beantworten, werde auch ich Ihnen helfen, so gut ich kann.«
Anna starrte Lukin lange Zeit schweigend an. Die Ungeheuerlichkeit seiner Worte klangen ihr immer noch in den Ohren. ›Ich weiß, daß Slanski hier ist, weil er Stalin töten will.‹
»Ich kann Ihr Gnadengesuch unterstützen, wenn Ihr Fall vor Gericht kommt.«
Auf Annas Gesicht zeichnete sich Resignation ab. Sie antwortete nicht.
»Anna, Sie sind entweder sehr mutig oder sehr halsstarrig«, fuhr Lukin leise fort. »Aber ich muß meine Arbeit erledigen. Und das heißt, Alex Slanski zu finden, tot oder lebendig, und jeden zu verhaften, der mit dieser Operation zu tun hat.«
Er nahm den Ordner vom Tisch und klemmte ihn sich unter den Arm. »Ich gebe Ihnen ein wenig Zeit, über meinen Vorschlag nachzudenken. Ich hoffe um Ihretwillen, daß Sie mit mir über diese Sache reden, statt mit den anderen. Ich möchte nicht, daß man Ihnen noch mehr Leid zufügt, als Sie schon ertragen mußten.«
Er nahm die Zigaretten und das Feuerzeug vom Tisch und blieb noch einen Augenblick stehen. Anna hob den Blick. In Lukins sanften braunen Augen schien so etwas wie Mitleid zu liegen. Doch Anna verdrängte diesen Gedanken rasch wieder. Hier gab es kein Mitleid.
Lukin ging zur Tür und schloß sie auf. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um.
»Ich habe Ihnen Essen und etwas zu trinken in die Zelle schicken lassen. Wir haben noch viel zu besprechen, und ich möchte Sie
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