Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
Ankunftshalle parkten ein halbes Dutzend amerikanischer Lastwagen, neben denen zwei schwarze GIs standen, die Kaugummi kauten und plauderten.
Keiner schien auf den blonden Mann zu achten. Augenblicke später sah er den grauen Volkswagen gegenüber dem Parkplatz für Zivilfahrzeuge. Hinter dem Steuer saß eine attraktive Frau Anfang Dreißig und rauchte eine Zigarette. Er erkannte ihre dunklen, russischen Gesichtszüge. Sie trug einen blauen Schal um den Hals. Als sie den Mann bemerkte, warf sie die Zigarette aus dem Wagenfenster.
Der Mann wartete noch eine ganze Minute, bevor er die Straße überquerte und zum Wagen ging. Selbst dann warf er vorher noch einen mißtrauischen Blick auf den Platz vor der Ankunftshalle.
Schweigend setzte er sich neben die Frau, die sich einen Augenblick später geschickt in den Verkehr einfädelte und Richtung Berlin fuhr.
Oberst Grenadi Kraskin betrachtete den großen, schlampig gekleideten Mann, der ihm gegenüber saß, und lächelte. Sie befanden sich in Sergei Engers Büro im ersten Stock des mehrere Etagen umfassenden unterirdischen Gebäudekomplexes, der einst von den Deutschen erbaut worden war.
»Also, Sergei, was haben Sie auf dem Herzen?«
Sergei Enger war ein untersetzter Mann mit dunklem, schütterem, lockigem Haar und einem Schmerbauch. Er hatte an der Moskauer Universität Physik studiert und war Leiter der Forschungsabteilung im unterirdischen Komplex von Luckenwalde. Trotz seiner lockeren Umgangsformen und seiner unordentlichen Kleidung – Enger trug oft verschiedene Socken, und man konnte auf seinem Schlips sehen, ob das Frühstücksei weich oder hart gekocht gewesen war – verfügte der Mann über eine messerscharfe Intelligenz und besaß ein ausgeprägtes Talent zur Menschenführung.
Gequält erwiderte Enger das Lächeln des Oberst. Natürlich hatte er Probleme, aber Grenadi Kraskin war nicht gerade der Mann, dem man sein Herz ausschüttete.
Das Gesicht des KGB-Offiziers war scharf geschnitten, hart und wettergegerbt. In der ledrigen Haut hatten sich tiefe Falten eingegraben, die fast wie Narben aussahen, und in Verbindung mit dem eiskalten Lächeln hatte dies eine furchterregende Wirkung. Außerdem schüchterten die tadellos gebügelte Uniform des Mannes und seine auf Hochglanz polierten Schuhe Enger stets ein.
Nach außen war Kraskin ein umgänglicher und intelligenter Mann, aber hinter dieser Maske verbarg sich ein düsterer, grausamer Charakterzug. Auf einem Winterfeldzug während der bolschewistischen Revolution hatte Kraskins Bataillon in der Nähe von Sadonsk am Don im Kaukasus gegen eine vierhundert Mann starke weißrussische Einheit gekämpft. Sie löschten die Weißrussen in nur drei Tagen vollkommen aus,in einem Kampf Mann gegen Mann. Kraskin hatte den Überlebenden und ihren Familien Gnade versprochen, wenn sie sich ergaben. Statt dessen stellte er sie an die Wand, ließ alle erschießen und kannte auch Frauen und Kindern gegenüber keine Gnade.
Enger zuckte mit den Schultern und spielte mit einem Bleistift auf dem Tisch. »Wieso glauben Sie, daß mich etwas bedrückt, Grenadi? Das Projekt läuft besser, als ich erwartet habe.«
Kraskin strahlte. »Hervorragend. Das freut mich zu hören.«
Enger stand unruhig auf, als würde ihm irgend etwas zu schaffen machen, und trat dann an die breite Glasscheibe, durch die man auf den riesigen Komplex darunter sehen konnte.
Dieser Ort versetzte Enger noch immer in Erstaunen, obwohl er jetzt schon zwei Jahre hier war. Die Nazis hatten vor zehn Jahren mit dem Bau dieses Komplexes begonnen. Es sollte eine V2-Fabrik werden, doch der russische Vormarsch in Ostpreußen hatte dieses Vorhaben ad acta gelegt. Jetzt war es eine der geheimsten und technisch fortgeschrittensten Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland. Der ganze Betrieb fand unterirdisch statt, was eine Tarnung auf der Erdoberfläche überflüssig machte. Vor dem Büro sorgten starke Lampen an der Decke für taghelles Licht. Metallkessel und Leitungen der Klimaanlage führten fast einen halben Kilometer an den Wänden entlang. Hier und da sah man Männer in weißen Kitteln herumlaufen.
Enger betrachtete diese beeindruckende Szenerie einige Augenblicke, bevor er sich wieder umdrehte.
»Ich habe die Einzelheiten, nach denen Sie gefragt haben, in dem Ordner auf dem Schreibtisch hinterlegt, Grenadi. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.«
Kraskin nahm den Ordner. Nachdem er die Berichte über den Fortschritt der Arbeiten überflogen hatte, glitt sein
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