Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
die Ihnen vorgeworfen werden, aber er wird Sie auffordern, nach Rußland zurückzukehren und sich einem Gerichtsverfahren zu stellen. Er wird Ihnen Milde versprechen. Ich nehme an, Sie können sich denken, was dieses Versprechen wert ist.«
»Der Arzt hat mir heute morgen eine Frage gestellt. Er wollte wissen, ob ich es bereue, den Lageroffizier und den Wachposten getötet zu haben.«
»Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Ich sagte, ich hätte Mitgefühl mit ihren Witwen und Kindern, wenn sie welche haben sollten. Aber ich bereue nicht, die beiden Männer getötet zu haben. Ich wollte entkommen. Was man mir angetan hat, war falsch. Mir ist etwas eingefallen, das Iwan mir einmal erzählt hat. Er hatte es irgendwo gelesen. Daß die, denen Böses angetan wird, es mit Bösem vergelten. Ich habe nur das Unrecht vergolten, das man mir angetan hat.«
»Ich nehme an, das beantwortet die Frage.«
Als Massey und Anna im Verhörzimmer der Polizeiwache in der Stadt saßen, traten zwei Russen in Zivil an dem Polizisten vorbei, der ihnen die Tür aufhielt.
Der ältere der beiden war Anfang Vierzig und wirkte sehr energisch. Er war groß und breitschultrig. Seine Muskeln spannten seinen Anzug.
Kalte blaue Augen blickten aus einem brutalen Gesicht, das von Aknenarben entstellt war. Ihm fehlte ein Teil des linken Ohrs. Der Mann hatte einen Aktenkoffer dabei und stellte sich knapp als Nikita Romulka vor. Er war ein hoher Offizier aus Moskau. Der zweite Russe war ein junger Botschaftsangehöriger. Er setzte sich neben den Offizier und reichte ihm einen Ordner.
Romulka schlug ihn auf. »Sie sind Anna Chorjowa«, sagte er.
Der Mann blickte Anna kaum an, während er sprach.
Massey nickte ihr zu. »Ja«, antwortete sie.
Als Romulka aufblickte, starrte er Anna kalt an.
»Aufgrund der Vereinbarungen des sowjetisch-finnischen Protokolls bin ich hier, um Ihnen die Chance zu bieten, sich reumütig zu zeigen, indem sie sich den schweren Verbrechen stellen, die Sie auf sowjetischem Boden begangen haben. Ich bin befugt, Sie darüber zu informieren, daß Ihr Fall neu aufgerollt und wieder vor Gericht kommt, und daß Ihnen die größtmögliche Milde widerfahren wird, die einem sowjetischen Bürger zusteht. Haben Sie das verstanden?«
Anna zögerte. Bevor sie antworten konnte, mischte Massey sich ein. »Wollen wir uns diesen förmlichen Mist nicht schenken, Romulka?« sagte er in fließendem Russisch. »Was wollen Sie eigentlich genau?«
Der Blick der kalten Augen richtete sich auf Massey. »Die Frage war an die Frau gerichtet, nicht an Sie«, sagte Romulka verächtlich.
»Dann stellen Sie die Frage bitte so einfach, daß die Frau ihre Situation genau versteht.«
Romulka starrte Massey an, lächelte und lehnte sich zurück.
»Im wesentlichen geht es um folgendes: Wenn sie einwilligt, nach Moskau zurückzukehren, wird ihr ein neuer Prozeß gemacht. Falls das Gericht entscheidet, daß sie grob behandelt oder zu Unrecht verurteilt wurde, werden ihre letzten Taten – die Ermordung des Grenzpostens und des Lageroffiziers – unter diesem Aspekt beurteilt. Kann ich es noch einfacher ausdrücken, selbst für einen offensichtlich so schlichten Menschen wie Sie?«
Massey ignorierte die Beleidigung und schaute Anna an. »Was sagen Sie dazu, Anna?«
»Ich will nicht zurück.«
»Es werden diplomatische Anstrengungen unternommen, die Sie dazu zwingen werden«, erklärte Romulka scharf. »Aber ich biete Ihnen die Möglichkeit, aus freiem Willen zurückzukehren und Ihren Fall neu beurteilen zu lassen. An Ihrer Stelle würde ich mir dieses Angebot sehr genau durch den Kopf gehen lassen.«
»Ich sagte doch, ich will nicht zurück. Ich wurde ohne jeden Grund eingekerkert. Ich habe kein Verbrechen begangen, bevor ich in den Gulag geschickt wurde. Und nicht ichsollte vor Gericht gestellt werden, sondern die Leute, die mich in dieses Lager geschickt haben.«
Romulkas Gesicht verzerrte sich plötzlich vor Wut. »Jetzt hör mir mal zu, du blödes Miststück. Stell dir vor, wie unangenehm wir das Leben für dein Kind machen können. Komm zurück und stell dich den Gerichten, dann siehst du deine Tochter vielleicht wieder. Tust du es nicht, wird der Rest ihres Lebens in diesem Waisenhaus sehr unangenehm verlaufen, das schwöre ich dir. Hast du verstanden?«
Romulkas Stimme klang bösartig. Annas Gesicht verzerrte sich vor Qual, als der Mann ihr Kind erwähnte.
»Sie verstehen es, dort zuzuschlagen, wo es weh tut, nicht wahr, Romulka?« fragte Massey
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