Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
konnten.
Sie kamen zu einem Baum, der irgendwann von einem Sturm entwurzelt worden war. Seine verrotteten, moosbewachsenen Wurzeln ragten in die Luft. Massey setzte sich neben Anna auf eine Holzbank und zündete sich eine Zigarette an.
»Geben Sie mir auch eine?« fragte Anna.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie rauchen.«
»Das tue ich auch nicht. Seit dem Krieg nicht mehr. Aber jetzt hätte ich gern eine.«
Massey bemerkte ihre Nervosität, als er ihr die Zigarette anzündete; vor allem allem aber erstaunte ihn die Veränderung, die mit Anna vorgegangen war. Man hatte ihr neue Kleider gegeben. Sie trug einen dicken, blaßblauen Wollpullover, den sie in enge schwarze Skihosen gesteckt hatte. Eine der Stationsschwestern hatte ihr einen Wintermantel geliehen, der ihr ein paar Nummern zu groß war. Dennoch konnte man ihre Schönheit nicht leugnen.
Sie war anders als die russischen Frauen, die Massey bisher kennengelernt hatte. Er war einer der ersten Amerikaner gewesen, die damals Berlin erreicht hatten, in den letzten Tagen des Dritten Reiches, nachdem die Russen die Stadt eingenommen hatten. Und damals hatte er zum ersten Mal russische Soldatinnen gesehen. Es gab einige Schönheiten unter ihnen. Aber die meisten waren untersetzte, muskulöse Bäuerinnen gewesen, die aussahen, als würden sie sich zweimal am Tag rasieren. Aber diese Frauen hatten die deutschen Luftangriffe und Schlimmeres überstanden, und das nötigte ihm Respekt ab.
»Hat man Sie gut behandelt, Anna?«
»Sehr gut, danke.«
»Brauchen Sie etwas? Zeitungen? Kleidung?«
»Nein, ich habe alles, was ich benötige.«
Massey schaute hinaus auf den See und sagte leise: »Ich habe mich mit Dr. Harlan unterhalten, Anna. Sie müßten sich einer Sache bewußt werden, sagt er. Es ist sicher nicht einfach, über die schrecklichen Dinge hinwegzukommen, die Sie durchgemacht haben. Harlan ist der Ansicht, daß Sie noch Zeit brauchen, um mit Ihrem Schmerz fertig zu werden.« Er schaute sie an. »Ich vermute, es läuft auf folgendes hinaus: Ganz gleich, was passiert, Sie müssen versuchen, Ihren Ehemann und Ihre Tochter zu vergessen. Lassen Sie alles Schlimme hinter sich. Es hört sich einfach an, wenn ich es sage, aber ich kann mir vorstellen, wie schwierig es ist.«
Sie blickte ihn an. »Ich glaube nicht, daß ich Sascha und Iwan jemals vergessen werde«, erwiderte sie nach einer längerenPause. »Das andere … vielleicht. Aber nicht Iwan und Sascha.«
Massey betrachtete sie. Waren das Tränen in ihren Augenwinkeln? Sie bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, biß sich auf die Lippen und schaute zur Seite. Auch als sie schließlich weitersprach, blickte sie ihn nicht an.
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Massey?«
»Natürlich.«
»Wo haben Sie Russisch gelernt?«
Er wußte, daß sie mit dieser Frage von ihrem Schmerz ablenken wollte, und lächelte sie freundlich an.
»Meine Eltern stammen aus St. Petersburg.«
»Aber Massey ist kein russischer Name.«
»Er ist polnisch. Eigentlich hieß ich Masenski. Die Familie meines Vaters stammt aus Warschau, und die meiner Mutter kam aus Rußland.«
»Aber Sie mögen Rußland nicht?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Als Sie am ersten Tag ins Krankenhaus gekommen sind … Wie Sie mich da angeschaut haben. Ihr Blick war mißtrauisch … abweisend.«
Massey schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Anna. Im Gegenteil. Die russischen Menschen sind zum größten Teil gute, freundliche und großzügige Leute. Ich hasse nur den Kommunismus. Er läßt alles verkümmern, was im Menschen edel und gut ist. Machen Sie keinen Fehler, Anna. Die Männer im Kreml sind nur an einem interessiert: Macht. Sie sind ein Spiegelbild der Nazis. Nur führen sie statt des Hakenkreuzes Hammer und Sichel und einen roten Stern im Banner.« Er hielt inne. »Anna, ich muß Ihnen etwas sagen. Jemand aus Ihrer Botschaft will mit Ihnen reden.«
Sie schaute ihn an, und Massey sah die Furcht in ihrem Blick. »Über was?«
Er berichtete Anna, was Canning ihm mitgeteilt hatte. »Es handelt sich nur um eine Formalität, aber sie muß erledigt werden. Glauben Sie, daß Sie es ertragen können?«
Sie zögerte. »Wenn Sie wollen. Wann?«
»Heute nachmittag. Anschließend wird der amerikanische Botschafter eine Entscheidung in Ihrem Fall treffen. Der russischeOffizielle heißt Romulka. Sie brauchen keine Angst zu haben, ich werde die ganze Zeit bei Ihnen bleiben. Romulka hat nicht das Recht, Sie zu den Verbrechen zu befragen,
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